Salutogenese – Das Jahrbuch der KIT-Fakultät für Architektur 2021
Im Oktober 2021 ist das neue Jahrbuch der Fakultät erschienen: 374 Seiten Diskurs, Dokumentation und Data aus Lehre, Forschung und Fakultätsleben. In deutsch und englisch.
Im Oktober 2021 ist das neue Jahrbuch der Fakultät erschienen: 374 Seiten Diskurs, Dokumentation und Data aus Lehre, Forschung und Fakultätsleben. In deutsch und englisch.
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Umweltgeschichte <strong>der</strong><br />
<strong>Architektur</strong><br />
Das wachsende kritische Bewusstsein über die<br />
Mitverantwortung von Architekten an <strong>der</strong> heutigen<br />
Umweltkrise hat auch Fragen bezüglich <strong>der</strong><br />
kulturellen Grundlegung <strong>der</strong> Dispziplin aufgeworfen.<br />
Davon ist auch die Geschichtsschreibung<br />
zu <strong>Architektur</strong> und Städtebau betroffen. Zu<br />
Recht wun<strong>der</strong>n sich heutige Studierende, die in<br />
ihren Entwurfskonzepten den Fragen des klimagerechten<br />
Bauens o<strong>der</strong> <strong>der</strong> energetischen<br />
und materiellen Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle<br />
gewähren, wenn in den historischen Fächern<br />
den Umweltfragen eine eher subalterne Rolle<br />
gewährt wird. Dabei blicken wir auf eine lange<br />
historiografische Tradition, die seit ihren vitruvianischen<br />
Ursprüngen stets Antworten auf Fragen<br />
<strong>der</strong> klimatischen, biologischen o<strong>der</strong> energetischen<br />
Bedingtheit <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong> zu geben<br />
versucht hat. In <strong>der</strong> Tradition <strong>der</strong> operativen <strong>Architektur</strong>geschichte<br />
widmen wir uns in einer bisher<br />
sechsteiligen Seminarreihe den Ansätzen einer<br />
Umweltgeschichte <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong>, bei <strong>der</strong><br />
das Ineinan<strong>der</strong>greifen funktionaler, konstruktiver<br />
und symbolischer Belange thematisiert wird.<br />
Oikos: Die alten Legenden vom Ursprung<br />
<strong>der</strong> <strong>Architektur</strong> stimmen darin überein, die<br />
Herdstelle als zugleich energetisches und soziales<br />
Zentrum des ersten Hauses auszumachen.<br />
Tatsächlich ist bis heute die Küche <strong>der</strong> Ort geblieben,<br />
an dem die Elemente domestiziert und<br />
damit auch sozialisiert werden. Der Blick in die<br />
Vergangenheit zeigt, dass diese Funktion <strong>der</strong> Küche<br />
sich mit <strong>der</strong> Zeit gewandelt hat und technisch<br />
bedingt unterschiedliche Formen und Bedeutungen<br />
angenommen hat.<br />
Helios: Von jeher sind Gebäude und Siedlungen<br />
auf Grundlage ihrer Beziehung zur Sonne<br />
konzipiert worden. Die Beispiele hier<strong>für</strong> reichen<br />
von geheimnisvollen steinzeitlichen Anlagen und<br />
expliziten Sonnen-Utopien <strong>der</strong> Antike hin zu den<br />
energieerzeugenden Artefakten <strong>der</strong> sogenannten<br />
bioklimatischen <strong>Architektur</strong> unserer Tage. In<br />
ihnen verbinden sich die Transzendenz kosmischer<br />
Zusammenhänge mit dem Pragmatismus<br />
<strong>der</strong> ökologischen Imperative.<br />
Gaia: Der Wandel <strong>der</strong> <strong>Architektur</strong> kann<br />
ebenso entlang <strong>der</strong> Beziehung von Bauwerken<br />
zum Boden sowie <strong>der</strong> architektonischen Darstellung<br />
<strong>der</strong> Erde beschrieben werden. Dazu zählen<br />
sowohl symbolisch aufgeladene Urformen des<br />
Bauens, bei denen künstliche Berge als Heiligtümer<br />
errichtet wurden, sowie die Erdarchitekturen<br />
künstlicher Grotten und Felsen. Es zählen aber<br />
ebenso Bauten dazu, die über die Darstellung<br />
des Planeten ganze Weltbil<strong>der</strong> konstruiert haben.<br />
Techne: Technische Ingenieurbauten werden<br />
aufgrund ihrer vorranging operativen Bestimmung<br />
traditionell nicht als <strong>Architektur</strong> verstanden.<br />
Bestenfalls galten diese Bauwerke als<br />
architektonische Behausungen von Maschinen.<br />
Es handelt sich oftmals um vernetzte Systemkomponenten,<br />
<strong>der</strong>en übergeordnete zivilisatorische<br />
Ziele und kulturelle Ansprüche als totales<br />
Artefakt (Reyner Banham) auf symbolischer Ebene<br />
Gegenstand architektonischer Repräsentation<br />
gewesen sind.<br />
(Bio)Mimesis: Die Geschichte <strong>der</strong> Naturanalogien<br />
und <strong>der</strong> Naturnachahmung in <strong>der</strong><br />
<strong>Architektur</strong> beginnt nicht erst Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
mit dem biologischen Schlagwort form<br />
follows function. Sie lassen sich bis in die Antike<br />
zurückverfolgen, etwa auf Vitruvs Zehn Bücher<br />
o<strong>der</strong> auf die Poetik des Aristoteles. In dieser kulturellen<br />
Tradition werden bis heute Naturanalogien<br />
von Konstrukteuren herangezogen, die nach<br />
einer ethischen Grundlegung ihrer Praxis streben.<br />
(U)Topos: Seit <strong>der</strong> Antike ist die Wahl des<br />
guten Ortes als einer <strong>der</strong> entscheidenden<br />
Schlüssel <strong>für</strong> eine bessere Gemeinschaft betrachtet<br />
worden. Das galt <strong>für</strong> Hausgemeinschaften<br />
ebenso wie bei <strong>der</strong> Gründung von Städten<br />
o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Konzeption von alternativen Lebenswelten.<br />
Entscheidend war das Verständnis <strong>der</strong><br />
menschlichen Umwelt als ein soziales Konstrukt.<br />
Die <strong>Architektur</strong> des guten Ortes implizierte so<br />
auch die Gestaltung <strong>der</strong> sozialen Lebensformen.<br />
Seminar<br />
BA und MA<br />
Prof. Dr. Joaquín Medina Warmburg<br />
324<br />
Medina Warmburg