Salutogenese – Das Jahrbuch der KIT-Fakultät für Architektur 2021

Genesung von der Totalität
Daniel Lythgoe
Jede Zeit, jeder Ort bringt seine ganz eigenen Herausforderungen
mit. Das Gespenst, das in der Unseren
umgeht, ist das der Covid-19-Pandemie. Wie bei jeder
Krise solchen Ausmaßes reichen ihre Auswirkungen
weit über den ursprünglich betroffenen Bereich,
in unserem Fall dem der öffentlichen Gesundheit,
hinaus. Diese Zwangslage wirft ein Licht auf andere
De fizite unserer sozialen und politischen Ordnung
und treibt einen Keil in die Bruchlinien, entlang derer
sie angeordnet sind. Dichte urbane Milieus tragen
hierbei die Hauptlast dieses erhellenden Wirkmechanismus.
Beim Versuch der Eindämmung der Virusausbreitung
befinden sich viele durch funktionale
Monokulturen geprägte Bezirke plötzlich in einer
unde finierten Lage. Dabei spielt das rationalisierende
Narrativ der Moderne eine grundlegende Rolle. Dieses
hat jedoch nicht nur zum exzessiven Fokus auf
die enge Passung von Form und Funktion in der
gebauten Umwelt geführt, sondern ebenso zur Idee
einer säkularisierten Totalität selbst. Die Komplexität
des Themas zeigt, dass Nachhaltigkeit, ob im sozialen
oder umweltpolitischen Sinne, nur im Prozess der
Dezentralisierung von stadtgesellschaftlicher Handlungsmacht
ermöglicht werden kann. Dieser Ansatz
erfordert eine Neubetrachtung der Werte, die der
Entwicklung der gebauten Umwelt zugrunde liegen.
Er opfert Klarheit, indem er die Kategorisierung ablehnt
und sich die Ambiguität zu eigen macht. Er ist
ungeordnet, aber es ist eine positive Art von Unordnung
— eine, die ein Identifikationsverhältnis herbeiführt.
Die neue Unordnung bildet den Siegeszug
der Allmende, dessen Optimismus die Antwort auf die
elende Tragik bietet, die sie gewohnt ist.
Lythgoe
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