Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Drucksache 14/4792 – 142 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode<br />
231. Im Zusammenhang mit dem Microsoft-Prozess<br />
wurden die negativen Effekte der Bündelung von komplementären<br />
Produkten betont. Bündelung als eine<br />
Strategie der vertikalen Beschränkung kann wie ein wettbewerbshemmender<br />
Eingriff wirken und die gesamtwirtschaftliche<br />
Allokationseffizienz beeinträchtigen.<br />
In der Theorie sind hierbei zwei Aspekte von Belang:<br />
– Erstens: Bündelung kann dazu führen, dass der zuvor<br />
funktionierende Wettbewerb auf einem Komponententeilmarkt<br />
eingeschränkt wird. Die unternehmerische<br />
Ratio einer solchen Strategie wäre<br />
jedoch nicht unmittelbar ersichtlich: Sind beispielsweise<br />
die Produkte A und B komplementäre Netzwerkkomponenten<br />
und ist Teilmarkt A monopolisiert,<br />
während auf dem Markt für Komponente B<br />
intensiver Wettbewerb herrscht, dann hat der Monopolist<br />
keinen Anreiz, zusätzlich zu A auch den<br />
Markt B zu monopolisieren, da Monopolgewinne in<br />
einer vertikalen Wertschöpfungskette nur ein einziges<br />
Mal verteilt werden können.<br />
Ist hingegen auch der Teilmarkt B durch monopolistische<br />
Strukturen geprägt, wie im Microsoftfall der<br />
Browsermarkt durch Netscape, existieren demgegenüber<br />
starke Anreize für die dominanten Anbieter<br />
auf beiden Märkten, den jeweils anderen Teilmarkt<br />
zu betreten. Der Grund: Die Monopolisierung des<br />
Komplementärmarkts entzieht den Unternehmen einen<br />
Teil der in der vertikalen Wertschöpfungskette<br />
zu verteilenden Rente, indem Netzwerkeffekte nicht<br />
in voller Gänze zum Tragen kommen können, da das<br />
zweistufige Monopol bei unkoordinierten Preissetzungsentscheidungen<br />
den Einfluss des eigenen Kalküls<br />
auf die Nachfrage und damit die Gewinne des<br />
komplementären Monopolisten nicht internalisiert.<br />
Im Ergebnis ist bei mangelnder Koordination die<br />
Marktnachfrage geringer und der Preis höher als bei<br />
vertikaler Kooperation beziehungsweise Integration.<br />
Dieser positive Befund gilt allerdings nur dann,<br />
wenn das dominierende Unternehmen <strong>zur</strong> Erhöhung<br />
des eigenen Marktanteils keine Strategien einsetzt,<br />
die die Kosten seiner Wettbewerber auf dem komplementären<br />
Markt erhöht, beispielsweise die Verringerung<br />
der Produktqualität der Wettbewerber<br />
durch das dominante Unternehmen.<br />
– Zweitens: Die Verknüpfung komplementärer Produkte<br />
kann dazu dienen, den Wettbewerb zu erschweren,<br />
indem durch die Bündelung von A und B<br />
ein Markteintritt in Teilmarkt B nur möglich ist,<br />
wenn zugleich auf dem komplementären Teilmarkt<br />
A ebenfalls angeboten wird (Blocking Two Stage<br />
Entry). Durch diese Praxis wird sowohl die bestehende<br />
Marktmacht für Produkt A gefestigt, als auch<br />
unter Umständen zuvor wirksamer Wettbewerb auf<br />
Markt B erschwert. Eine Bündelungsstrategie kann<br />
in diesem Fall über zusätzliche Mechanismen wie<br />
beispielsweise Exklusivvertriebsregelungen in ihrer<br />
Wirkung verstärkt werden.<br />
Der Prozess gegen Microsoft<br />
232. Im Mai 1998 erhoben das US-Justizministerium<br />
und 19 Bundesstaaten vor dem Bezirksgericht des<br />
Districts of Columbia Klage gegen das Softwareunternehmen<br />
Microsoft, dem kartellrechtswidriges Verhalten<br />
vorgeworfen wurde. In einem im Juni <strong>2000</strong> ergangenen<br />
Urteil kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass<br />
Microsoft<br />
– mit dem System Windows eine Monopolstellung<br />
auf dem Markt für Betriebssysteme besitze,<br />
– diese Monopolstellung durch wettbewerbsbehindernde<br />
Praktiken gesichert habe und<br />
– die Monopolstellung bei Betriebssystemen dazu<br />
benutzt habe, auch den Markt für Internetbrowser<br />
zu monopolisieren.<br />
Infolge dieses Urteils beschloss das Gericht, dass das<br />
Unternehmen in zwei rechtlich und organisatorisch unabhängige<br />
vertikale Einheiten aufzuspalten sei – in ein<br />
Unternehmen für das Betriebssystem Windows und in<br />
ein anderes für den Bereich Anwendungssoftware. Für<br />
die organisatorischen Veränderungen innerhalb des<br />
Konzerns wurden drei Jahre eingeräumt. In dieser Zeit<br />
hat Microsoft einen umfangreichen Katalog von wettbewerbsfördernden<br />
Verhaltensregeln zu befolgen. Das<br />
Unternehmen hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.<br />
233. Im Mittelpunkt des Verfahrens gegen Microsoft<br />
stand die Praxis des Softwareunternehmens, die Software<br />
für die Nutzung des Internet, den Internet Explorer<br />
(IE), mit dem eigenen Betriebssystem Windows,<br />
das mit einem Marktanteil von rund 90 vH den Markt<br />
für Betriebssysteme dominiert, über eine technische<br />
Integration beider Komponenten zu bündeln. Damit<br />
war das Unternehmen in der Lage, über den Vertrieb<br />
des Betriebssystems die Computerhersteller als Abnehmer<br />
<strong>zur</strong> Übernahme der unternehmenseigenen Browsersoftware<br />
zu drängen. Zusätzlich wurden über<br />
Exklusivvereinbarungen und Zahlungen wichtige Internetzugangsanbieter<br />
und wesentliche Informationsanbieter<br />
im Internet als Vertriebskanäle für den Microsoft-Browser<br />
gewonnen. Der zum Zeitpunkt des<br />
IE-Markteintritts dominierende Browserhersteller Netscape<br />
wurde so in seinen Absatzmöglichkeiten eingeschränkt;<br />
seine noch im Jahre 1995 dominierende<br />
Marktstellung im Browserbereich erodierte innerhalb<br />
kurzer Zeit merklich.<br />
234. Eine mögliche Erklärung für die von Microsoft<br />
verfolgte Browserstrategie ergibt sich aus dem Befund,<br />
dass für ein marktbeherrschendes Unternehmen in<br />
vertikalen Netzwerken der Markteintritt in einen komplementären<br />
Markt um so attraktiver ist, je weniger<br />
Wettbewerb auf diesem herrscht. Die Mitte der Neunzigerjahre<br />
rasch zunehmende Bedeutung des Internet<br />
sowie die zu diesem Zeitpunkt absehbar längerfristige<br />
Dominanz des Browsermarkts durch Netscape bildeten