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Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

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Drucksache 14/4792 – 190 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode<br />

erstrebenswerten Wachstumspfad liege. Sinnvoller sei<br />

es, so das Argument, im Hinblick auf einen höheren<br />

Wachstumspfad frühzeitig ein größeres Geldangebot<br />

bereitzustellen. Der Sachverständigenrat teilt diese<br />

Auffassung nicht. Abgesehen davon, dass im Vorhinein<br />

ein möglicher höherer Wachstumspfad schwerlich präzisiert<br />

werden kann und damit auch nicht so ohne weiteres<br />

die entsprechende Geldversorgung „auf Vorrat“<br />

zu bestimmen ist, hat es grundsätzlich die Geldpolitik<br />

gar nicht in der Hand, das Tempo des gesamtwirtschaftlichen<br />

Wachstums zu beschleunigen. Sie kann<br />

das dazu erforderliche Volumen an Sachinvestitionen<br />

nicht erzwingen. Entscheidend sind unternehmerische<br />

Initiativen und Innovationsbereitschaft. Von der Finanzierungsseite<br />

her gesehen ist für viele Investitionen der<br />

langfristige Zinssatz entscheidend, den die Notenbank<br />

nicht direkt beeinflussen kann. Wenn die Unternehmen<br />

positive wirtschaftliche Zukunftserwartungen haben<br />

und daraufhin ihre Investitionstätigkeit ausweiten,<br />

werden zunächst der Auslastungsgrad der vorhandenen<br />

Produktionskapazitäten steigen und danach auch das<br />

Produktionspotential beschleunigt wachsen. Sobald<br />

sich die Wachstumsbeschleunigung auf der Angebotsseite<br />

der Volkswirtschaft zeigt, kann und muss auch der<br />

monetäre Spielraum erweitert werden. Das Risiko, die<br />

mittelfristige Investitionsneigung der Unternehmen zu<br />

überschätzen und dann zu erleben, wie im Euro-Raum<br />

ein zu großzügig bemessenes Geldangebot bei anhaltendem<br />

Konjunkturaufschwung in die Finanzierung<br />

von knappheitsbedingten Preissteigerungen geht und<br />

über erhöhte Inflationserwartungen den Kapitalmarktzins<br />

nach oben treibt, sollte die Notenbank nicht eingehen.<br />

Für das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung<br />

wäre nichts gewonnen.<br />

337. Der Europäischen Zentralbank wird auch vorgehalten,<br />

sie beachte zu wenig, dass unter den Bedingungen<br />

der Globalisierung der Märkte und der Neuen Ökonomie<br />

der Inflationsdruck geringer sei als bisher üblich<br />

und daher die Geldwertstabilität bei einem niedrigeren<br />

Zinsniveau als in früheren Expansionsphasen des Konjunkturzyklus<br />

gewährleistet werden könne. Dieser<br />

These liegt die Annahme zugrunde, die europäischen<br />

Volkswirtschaften, die deutsche eingeschlossen, würden<br />

bereits einen beschleunigten Produktivitätsfortschritt<br />

verzeichnen und seien auf einen höheren Pfad<br />

des Potentialwachstums eingeschwenkt. Das ist nicht<br />

der Fall, weil in der Vergangenheit in vielen Ländern zu<br />

lange gezögert wurde, überfällige Strukturreformen<br />

einzuleiten, die die Angebotsbedingungen der Wirtschaft<br />

nachhaltig verbessern würden, am dringendsten,<br />

was den Arbeitsmarkt anbelangt; überdies ist die Neue<br />

Ökonomie in Europa noch nicht etabliert (Ziffern<br />

207 ff.). Solange eine dauerhaft gestiegene gesamtwirtschaftliche<br />

Dynamik im Euro-Raum als Ganzem<br />

nicht eindeutig ist, gibt es für eine inflationsfreie Nachfrageexpansion<br />

weiterhin merklich engere Spielräume<br />

als zum Beispiel in den Vereinigten Staaten. Und selbst<br />

wenn die Weichen schon konsequent in Richtung auf<br />

die Neue Ökonomie gestellt wären, ist inflationärer<br />

Druck nicht ausgeschlossen. Denn es kann durchaus<br />

sein, dass ein erhöhtes Güterangebot zeitlich nicht so<br />

schnell bereitsteht wie die effektive Gesamtnachfrage,<br />

angetrieben durch positive Erwartungseffekte, expandiert.<br />

Kurzum: Die Europäische Zentralbank hat überhaupt<br />

keinen Grund, bei der Einschätzung der künftigen<br />

Preisniveauentwicklung im gemeinsamen Währungsraum<br />

weniger streng zu sein, als sie es sein müsste,<br />

wenn der wirtschaftliche Prozess allein früheren Entwicklungsmustern<br />

entsprechen würde. Mit übertriebenen<br />

Inflationsängsten hat das nichts zu tun, wohl aber<br />

mit Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit in Bezug auf<br />

den Willen <strong>zur</strong> Stabilität. Allein die Hoffnung auf preisdämpfende<br />

Umfeldbedingungen kann eine verantwortungsvolle<br />

Notenbank bei ihrer Geldpolitik nicht leiten.<br />

Im Übrigen und grundsätzlich: Wenn die Volkswirtschaft<br />

in der Lage ist, über die Neue Ökonomie dauerhaft<br />

auf einen höheren Wachstumspfad zu gelangen,<br />

dann steigt die Kapitalrentabilität mit der Folge, dass<br />

im neuen Gleichgewicht der Realzins ein höheres Niveau<br />

erreicht; bei unveränderten Inflationserwartungen<br />

ist dann auch der gleichgewichtige Geldmarktzins<br />

höher (Ziffern 240 ff.). Höhere Zinsen sind durchaus<br />

mit einem höheren Wachstumspfad kompatibel.<br />

Die mittelfristige Orientierung bekräftigen<br />

338. Die Geldpolitik lässt sich im Wesentlichen durch<br />

zwei Charakteristika beschreiben: erstens das Ziel und<br />

zweitens die Strategie.<br />

Der EG-Vertrag legt die Preisniveaustabilität als prioritäres<br />

Ziel der europäischen Geldpolitik fest, überlässt<br />

jedoch die Definition von Preisniveaustabilität dem<br />

Europäischen System der Zentralbanken (Artikel 105<br />

EG-Vertrag). Im Oktober 1998 hat der EZB-Rat Preisniveaustabilität<br />

als einen Anstieg des Harmonisierten<br />

Verbraucherpreisindex (HVPI) von mittelfristig unter<br />

2 vH gegenüber dem Vorjahr definiert. Aus den anschließenden<br />

öffentlichen Äußerungen der Entscheidungsträger<br />

der Europäischen Zentralbank ließ sich ableiten,<br />

dass die Inflationsrate in einem Band zwischen<br />

null und zwei Prozent stabilisiert werden soll. Diese<br />

geldwertpolitische Zielbestimmung eröffnet zwar<br />

einen gewissen Interpretationsspielraum, sie ist gleichwohl<br />

hinreichend transparent, um die Erwartungsbildung<br />

der Marktteilnehmer zu stabilisieren. Hinzukommen<br />

muss freilich, dass die Politik den Vorrang des<br />

Ziels der Preisniveaustabilität respektiert. Für die<br />

junge Notenbank, die sich ihre Reputation als Garant<br />

einer stabilen Währung noch erarbeiten muss, ist Unabhängigkeit<br />

ein besonders wertvolles Aktivum. Der<br />

Sachverständigenrat hält in diesem Zusammenhang die<br />

Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank bezüglich<br />

der konkreten Ausgestaltung des geldpolitischen<br />

Ziels (Zielunabhängigkeit) für ebenso wichtig wie die<br />

Unabhängigkeit der Notenbank hinsichtlich des Einsatzes<br />

ihres geldpolitischen Instrumentariums (Instrumentenunabhängigkeit).<br />

Vorstellungen, die Rolle der<br />

eigentlich informellen Euro-Gruppe der Wirtschafts-

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