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Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249 – Drucksache 14/4792<br />

Die Erfahrungen der Schweiz verdeutlichen, dass selbst umfassende und ehrgeizige Reformen weder zu unmittelbaren<br />

noch sicher prognostizierbaren Kostenersparnissen führen; eine stärker äquivalenzorientierte Finanzierung, so<br />

wünschenswert sie aus Effizienzgründen sein mag, löst nicht die dem Gesundheitssystem inhärenten Anreiz- und<br />

Informationsprobleme. Diese Erkenntnis und die Suche nach weiteren Reformschritten macht deutlich, dass eine<br />

Reduzierung derartiger Ineffizienzen nur mittels eines graduellen Reformprozesses erreicht werden kann. Schrittweise<br />

Reformen werden einfacher, wenn die ordnungspolitische Grundausrichtung feststeht. Dies gilt insbesondere<br />

für das nicht nur in Deutschland von Partikularinteressen dominierte Gesundheitswesen. Reformerfahrungen<br />

eines Landes lassen sich nicht blaupausenartig auf andere Länder übertragen. Das Schweizer Beispiel zeigt jedoch,<br />

dass in der Gesundheitspolitik ambitionierte wettbewerbsorientierte Weichenstellungen möglich sind.<br />

Reformkonzeption II: Systemevolution<br />

479. Wenn – wie es den Anschein hat – die Politik den<br />

Weg zu einer letztlich privaten Pflichtversicherung für<br />

alle nicht gehen will und auch noch ungelöste Probleme<br />

einer Umsetzung einer solchen Konzeption entgegenstehen,<br />

ist nach Wegen zu suchen, wie durch Adjustierungen<br />

des derzeitigen Systems, im Sinne einer<br />

evolutorischen Weiterentwicklung, die beschriebenen<br />

Fehlanreize und Schwächen gleichermaßen im Interesse<br />

einer Senkung der Arbeitskosten und vor allem<br />

einer effizienten medizinischen Versorgung beseitigt<br />

werden können.<br />

Unstrittig ist, dass jede Reform, die diesen Zielen folgt,<br />

mehr Eigenverantwortung und Kostenbewusstsein von<br />

den Versicherten abfordert und auch eine Neuordnung<br />

der solidarisch finanzierten Leistungen verlangt. Im<br />

Vergleich zu einem paradigmatischen Systemwechsel<br />

kann eine evolutorische, wettbewerbsorientierte Weiterentwicklung<br />

des derzeitigen Systems in Schritten<br />

vorgenommen werden und überfordert damit nicht die<br />

Akteure. Eine Reform in kleinen Schritten muss kein<br />

Nachteil sein, wenn alle Schritte in die gleiche Richtung<br />

gehen. Die im Folgenden genannten Maßnahmen<br />

stellen solche Reformschritte dar.<br />

Begrenzung des Leistungskatalogs<br />

480. Mit Nachdruck ist darauf hinzuweisen, dass der<br />

Versuch einer Unterscheidung in Grund- und Wahlleistungen<br />

nicht darauf abzielt, die Inanspruchnahme von<br />

ärztlichen Leistungen zu reduzieren. Vielmehr geht es<br />

darum, den solidarisch finanzierten Schutz auf solche<br />

Erkrankungen zu konzentrieren, deren erfolgreiche Behandlung<br />

die ökonomische Belastbarkeit eines Versicherten<br />

übersteigen, die Absicherung von Krankheiten<br />

mit geringen Einkommensrisiken oder gesundheitlich<br />

nicht gravierenden Folgen oder von medizinischen<br />

Leistungen mit Konsumcharakter dagegen der Eigenvorsorge<br />

anheim zu stellen.<br />

Hinsichtlich der Beeinträchtigungen, derentwegen die<br />

Versicherten einen Arzt aufsuchen und hinsichtlich des<br />

Krankheitspanoramas ist der Leistungskatalog der gesetzlichen<br />

Krankenkassen gegenwärtig im Grundsatz<br />

offen, abgesehen von einigen wenigen expliziten Ausschlüssen<br />

(zum Beispiel im Bereich der Reproduktionsmedizin).<br />

Neue diagnostische und therapeutische<br />

Maßnahmen stellen grundsätzlich Regelleistungen dar,<br />

sofern für diese – für den Bereich der ambulanten Versorgung<br />

– eine positive Empfehlung durch die Bundesausschüsse<br />

der Ärzte und Krankenkassen oder – für<br />

den Bereich der stationären Versorgung – kein negatives<br />

Votum vom Bundesausschuss für Krankenhäuser<br />

vorliegt. Innerhalb dieses weiten Rahmens gibt es<br />

keine Leistungsbegrenzung, und es gibt keine inhaltliche<br />

Konkretisierung dessen, was in § 2 Absatz 4, § 12<br />

oder § 70 SGB V mit „ausreichend“, „bedarfsgerecht“,<br />

„zweckmäßig“, „wirksam“ und „human“ beschrieben<br />

wird.<br />

Die Forderung nach einer Aufspaltung dieses offenen<br />

Leistungsangebots in solidarisch abgesicherte „Grundleistungen“<br />

und gegebenenfalls privat abzusichernde<br />

„Wahlleistungen“ ist ebenso verbreitet, wie es schwierig<br />

ist, – ohne eine Erhöhung der Morbiditätsrisiken –<br />

einen solchen Grundleistungskatalog zu erstellen. Erfolg<br />

versprechender als eine explizite Auflistung der<br />

Kernleistungen dürfte es sein, bei einem im Grundsatz<br />

offenen Angebot zu bleiben und über eine Negativliste<br />

die Ausnahmen zu erweitern. In der Diskussion sind<br />

beispielsweise Maßnahmen, die die individuellen Alterungsprozesse<br />

bremsen sollen, kosmetische Eingriffe,<br />

bestimmte Psychotherapieformen oder auch Zahnersatz.<br />

Insbesondere sollte – da dies nach Angaben<br />

führender medizinischer Fachvertreter möglich ist –<br />

der Katalog der bereits jetzt ausgenommenen Trivialerkrankungen,<br />

also kurzfristige Erkrankungen mit regelmäßiger<br />

Spontanheilung, erweitert werden.<br />

Kostenrelevanter als eine solche Abschichtung von<br />

Krankheitsbildern dürfte eine Auflistung der Diagnose-<br />

und Therapieformen sowie der verordneten Medikamente<br />

sein. Mit Blick auf Praxis und Erfahrungen<br />

im Ausland bieten sich hier Behandlungsleitlinien<br />

an, die aufgrund einer evidenzbasierten Medizin<br />

entwickelt wurden. In vorbildlicher Weise wird dies in<br />

den Niederlanden praktiziert. Dort therapieren die<br />

Hausärzte auf der Grundlage von nur etwa 70 auch für<br />

den Laien verständlich formulierten Behandlungsempfehlungen.

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