Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209 – Drucksache 14/4792<br />
Jahre 1995 – nur punktuelle Änderungen am bestehenden<br />
System durchgeführt werden, um so den Anforderungen<br />
des Urteils gerecht werden zu können. Aber<br />
auch dabei sollte man sich an den Leitlinien für eine<br />
umfassende Reform orientieren und zumindest den<br />
Weg dorthin nicht verbauen.<br />
Zur vertikalen Verteilung der Umsatzsteuer<br />
394. Die Anteile von Bund und Ländern am Aufkommen<br />
aus der Umsatzsteuer werden durch Bundesgesetz,<br />
das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, festgelegt.<br />
Das Grundgesetz gibt dafür – wörtlich – in Artikel 106<br />
Absatz 3 folgende Verteilungsgrundsätze vor:<br />
– Im Rahmen der laufenden Einnahmen haben Bund<br />
und Länder gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer<br />
notwendigen Ausgaben. Dabei ist der Umfang<br />
der Ausgaben unter Berücksichtigung einer mehrjährigen<br />
Finanzplanung zu ermitteln.<br />
– Die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder<br />
sind so aufeinander abzustimmen, dass ein billiger<br />
Ausgleich erzielt, eine Überbelastung der<br />
Steuerpflichtigen vermieden und die Einheitlichkeit<br />
der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt<br />
wird.<br />
Die Anteile an der Umsatzsteuer sind gemäß Artikel 106<br />
Absatz 4 GG neu festzusetzen, wenn sich das Verhältnis<br />
zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Bundes<br />
und der Länder wesentlich anders entwickelt (Revisionsklausel).<br />
395. Die Verteilungsgrundsätze und die Revisionsklausel<br />
verlangen bei Bund und Ländern eine Gegenüberstellung<br />
der „laufenden Einnahmen“ und der „notwendigen<br />
Ausgaben“; deren Quotient wird als<br />
Deckungsquote bezeichnet. Im Ergebnis soll die Umsatzsteuerverteilung<br />
dazu führen, dass die Deckungsquoten<br />
beim Bund und bei der Ländergesamtheit auf<br />
Dauer in etwa gleich hoch sind. Mitunter werden sogar<br />
absolut gleiche Deckungsquoten für Bund und Ländergesamtheit<br />
verlangt.<br />
Bei dieser Deckungsquotenrechnung kommt es nun darauf<br />
an, was im Einzelnen zu den „laufenden Einnahmen“<br />
und den „notwendigen Ausgaben“ zu zählen ist.<br />
Eine Expertenkommission hat sich bereits im Jahre<br />
1981 mit diesen Problemen ausführlich auseinander<br />
gesetzt, ohne zu einem einheitlichen oder auch nur<br />
mehrheitlichen Votum zu kommen. Die Begriffe sind<br />
weder mit Rückgriff auf das Haushaltsrecht, noch anhand<br />
der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen<br />
und ebenso wenig mithilfe der üblichen finanzwissenschaftlichen<br />
Terminologie exakt abzugrenzen. Die Vorstellungen<br />
der verschiedenen Gebietskörperschaften<br />
darüber weichen – insbesondere wegen der unterschiedlichen<br />
Aufgabenstellungen und der unterschiedlichen<br />
Auffassungen über Schwerpunkte und Prioritäten<br />
öffentlicher Aktivitäten – stark voneinander ab.<br />
Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Forderung<br />
an den Gesetzgeber, „das verfassungsrechtlich<br />
nur in unbestimmten Begriffen festgelegte System der<br />
vertikalen Umsatzsteuerverteilung entsprechend den<br />
vorgefundenen finanzwirtschaftlichen Verhältnissen<br />
und finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen durch<br />
anwendbare, allgemeine, ihn selbst bindende Maßstäbe<br />
gesetzlich zu konkretisieren und zu ergänzen“<br />
(RZ 273), ist unseres Erachtens kaum zu erfüllen. Gerade<br />
die finanzwissenschaftliche Forschung hat seit langem<br />
nachgewiesen, dass der in Artikel 106 Absatz 3 GG<br />
verwendete Begriff der „notwendigen Ausgaben“ nicht<br />
objektiv konkretisierbar ist und dass dem durch eine<br />
„gemeinsame Finanzplanung“ auch nicht abgeholfen<br />
werden kann. Dazu kommt, dass ein „Ausgleich der<br />
Deckungsquoten“ bei Bund und Ländergesamtheit<br />
ökonomisch gar nicht zu vertreten ist. Die vertikale<br />
Verteilung der Umsatzsteuer lässt sich nicht zu einer<br />
einfachen Rechenoperation machen.<br />
396. Es bleibt deshalb auch gar nichts anderes übrig,<br />
als weiter wie bisher zu verfahren – so unbefriedigend<br />
dies auch im Einzelnen sein mag – und ein Ergebnis in<br />
Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern<br />
zu suchen. Sicher wird man die heutige Praxis verbessern<br />
können. So könnte eine – in der Diskussion bereits<br />
vorgeschlagene – Schlichtungskommission dazu beitragen,<br />
dass Einigungsdruck geschaffen und ein Verhandlungsspielraum<br />
markiert wird. Es könnten auch Verfahrensregeln<br />
festgelegt werden, die Bund und Länder bei<br />
den Verhandlungen über die Verteilung der Umsatzsteuer<br />
zu beachten hätten. Hierzu zählen etwa Regeln<br />
für das Ingangsetzen von Revisionsverhandlungen sowie<br />
Verpflichtungen des Bundes und der Länder <strong>zur</strong> gegenseitigen<br />
Information und Auskunftserteilung. Letzten<br />
Endes muss aber über die Umsatzsteuerverteilung<br />
politisch entschieden werden, so schwierig das bei unterschiedlichen<br />
Vorstellungen über Art und Dringlichkeit<br />
öffentlicher Ausgaben auch sein mag.<br />
397. Statt das geforderte Maßstäbegesetz zu verabschieden,<br />
wäre nach dem hier Vorgetragenen eine Verfassungsänderung<br />
die konsequente Lösung. Im gegenwärtigen<br />
System des kooperativen Föderalismus wäre<br />
die einfachste und vergleichsweise wohl schnell durchzusetzende<br />
Lösung, die Verteilungsgrundsätze nach<br />
Artikel 106 Absatz 3 Satz 4 GG ersatzlos zu streichen,<br />
da sie nicht objektiv konkretisierbar sind. Jeder Versuch,<br />
diese Vorschrift durch eine Neuformulierung zu<br />
ersetzen, bei der die Begriffe „notwendige Ausgaben“<br />
und „gemeinsame Finanzplanung“ nur durch andere<br />
Begriffe ersetzt werden sollen, wären im Ansatz zum<br />
Scheitern verurteilt. Für die Verteilung der Umsatzsteuer<br />
würde dann nur noch Artikel 106 Absatz 3 Satz 3<br />
GG gelten: „Die Anteile von Bund und Ländern an der<br />
Umsatzsteuer werden durch Bundesgesetz, das der Zustimmung<br />
des Bundesrates bedarf, festgesetzt“.<br />
Im Prinzip läuft dieser Vorschlag auf eine Fortsetzung<br />
der bisherigen Praxis der Verhandlungen <strong>zur</strong> Neufestsetzung<br />
der Umsatzsteuer hinaus. Im System des