Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Drucksache 14/4792 – 194 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode<br />
können solche Vermögenspreissteigerungen über den<br />
Vermögenseffekt zu zusätzlichen Nachfrageimpulsen<br />
führen, die bei ausgelasteten Kapazitäten inflatorisch<br />
wirken. Einer stabilitätspolitisch vorausschauenden<br />
Notenbank muss deshalb daran gelegen sein, dass es<br />
nicht zu spekulativen Übertreibungen an den Aktienmärkten<br />
kommt. Nur sind eben die Möglichkeiten der<br />
Zentralbank, direkt und kontrolliert darauf hinzuwirken,<br />
sehr begrenzt; die Gefahr, bei den Marktteilnehmern<br />
missverstanden zu werden und Überreaktionen<br />
auszulösen, die dann den abrupten Rückschlag an den<br />
Aktienmärkten, den es ja zu vermeiden gilt, erst herbeiführen,<br />
ist nicht unbeträchtlich. Am besten kann die<br />
Notenbank spekulativen Übersteigerungen entgegenwirken,<br />
indem sie ihr geldpolitisches Handeln vorausschauend<br />
und verlässlich an dem Ziel der Preisniveaustabilität<br />
im Euro-Raum ausrichtet. Dabei gelangen<br />
Entwicklungen an den Vermögensmärkten, die stabilitätspolitisch<br />
problematisch wären, von selbst in das<br />
Entscheidungskalkül der Notenbank, weil nämlich die<br />
Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes im Trend stärker<br />
<strong>zur</strong>ückginge als sonst (erste Säule) und die Inflationsrisiken<br />
mittelfristig größer würden (zweite Säule).<br />
Geldwertsicherung durch Euro-Abwertung<br />
erschwert<br />
345. Die kräftige nominale und reale Abwertung des<br />
Euro gegenüber dem US-Dollar war und ist für die<br />
Geldpolitik der Europäischen Zentralbank in doppelter<br />
Hinsicht ein großes Problem: Zum einen wird die<br />
Kommunikation der geldpolitischen Strategie durch<br />
die Wechselkursfrage überlagert und erschwert; zum<br />
anderen bauen sich durch die Abwertung des Euro im<br />
Verbund mit stark steigenden Ölpreisen Inflationsrisiken<br />
auf, die die Geldpolitik nicht vernachlässigen<br />
kann. Mit Blick auf die Kommunikationspolitik der<br />
Europäischen Zentralbank als junger Institution ohne<br />
historisch gewachsener Reputation und mit einer in der<br />
breiten Öffentlichkeit nicht immer verstandenen geldpolitischen<br />
Strategie bedeutet die fortgesetzte Wechselkursdebatte<br />
schwieriges Terrain.<br />
Zunächst heißt dies, die Einordnung des Euro-Außenwerts<br />
in dem Indikatorenbündel der zweiten Säule der<br />
geldpolitischen Strategie konsistent zu vermitteln. Dies<br />
ist vor dem Hintergrund fortgesetzter Abwertungstendenzen,<br />
und angesichts der diesem strategischen Standbein<br />
inhärenten Gefahr der Intransparenz bei der<br />
Gewichtung einzelner Indikatoren, kein einfaches Unterfangen.<br />
Erschwerend kam und kommt hinzu, dass<br />
die mit der Euro-Einführung vielfach geäußerte Erwartung,<br />
die neue Währung werde eine im internationalen<br />
Vergleich harte Währung sein, das öffentliche Interesse<br />
ungewöhnlich intensiv auf die Wechselkursentwicklung<br />
gelenkt hat. Wenn dann auch noch, wie geschehen,<br />
vonseiten der Politik der Eindruck erweckt wird,<br />
die Abwertung sei per Saldo aufgrund ihrer expansiven<br />
konjunkturellen Effekte zu begrüßen, erweist man der<br />
Stabilitätsaufgabe der Notenbank einen Bärendienst.<br />
Glücklicherweise hat sich die Europäische Zentralbank<br />
nicht beirren lassen. Indem sie die Kursentwicklung allein<br />
in ihren Auswirkungen auf die zukünftige Preisniveaustabilität<br />
beurteilte und kommentierte, hat sie<br />
deutlich gemacht, dass sie kein Wechselkursziel als<br />
solches verfolgt und schon gar nicht beabsichtigt, den<br />
Außenwert des Euro für die Konjunktursteuerung zu<br />
nutzen. Mindestens ebenso wichtig: Mit Blick auf die<br />
sich durch die Abwertung und den erhöhten Ölpreis<br />
aufbauenden Preisrisiken haben die Zinserhöhungsschritte<br />
gezeigt, dass nicht Abwarten, sondern eine<br />
vorausschauende Politik die Leitschnur des geldpolitischen<br />
Handelns bildet. Erwartet man abwertungsbedingte<br />
Gefahren für die Preisniveaustabilität – Zweitrundeneffekte<br />
aufgrund sich verschlechternder Terms<br />
of Trade –, sind vorbeugende Zinsschritte das geeignete<br />
Instrument.<br />
346. Die Abwertung des Euro hat ein Ausmaß<br />
erreicht, bei dem sich die Frage stellt, ob die Kursentwicklung<br />
noch auf fundamentale ökonomische Faktoren<br />
<strong>zur</strong>ückgeführt werden kann oder ob an den Devisenmärkten<br />
ein sich selbst verstärkender, von den<br />
derzeitigen Fundamentalfaktoren zunehmend abgekoppelter<br />
Druck auf die europäische Währung entstanden<br />
ist. Ein solches „Unterschießen“ stünde zwar nicht<br />
im Widerspruch zu dem individuellen Rationalitätskalkül<br />
der Finanzmarktteilnehmer, die fortgesetzte<br />
Abweichung von einem fundamental begründeten<br />
Kursniveau würde jedoch zu realwirtschaftlichen Fehlallokationen<br />
führen, deren Korrektur im Zuge einer späteren<br />
Umkehr des Markttrends gesamtwirtschaftliche<br />
Kosten verursacht, insbesondere Unternehmen und<br />
Arbeitsplätze in Bedrängnis bringt, die bis dahin nur<br />
dank der abwertungsbedingten Preisvorteile im internationalen<br />
Wettbewerb hatten bestehen können. Die<br />
entscheidende Frage ist, ob und anhand welcher Kriterien<br />
sich eine solch ungerechtfertigte Marktbewertung<br />
diagnostizieren lässt. Da Wechselkurse, wie alle Finanzmarktpreise,<br />
zentral von Erwartungen bestimmt<br />
werden, Erwartungen ex ante aber nur schwer beobachtbar<br />
und messbar sind, ist die Unterscheidung zwischen<br />
fundamental gerechtfertigten und ungerechtfertigten<br />
Kursbewegungen eine sehr schwierige Aufgabe.<br />
347. In einem System flexibler Wechselkurse bilden<br />
sich die Kurse am Devisenmarkt durch das Zusammenspiel<br />
von Angebot und Nachfrage, und sie sind insoweit<br />
im Gleichgewicht. Aber das heißt nicht, dass jeder<br />
Marktkurs fundamental ökonomisch begründet ist.<br />
Eine Reihe von aktuellen Studien über die Kursentwicklung<br />
des Euro stellt je nach Analysemethode und<br />
Untersuchungszeitpunkt eine signifikante fundamentale<br />
Unterbewertung in einer Größenordnung von<br />
10 vH bis 30 vH fest (Exkurs: Gleichgewichtige Wechselkurse,<br />
Ziffern 350 ff.). Bereits im vergangenen Jahr<br />
war es schwierig, den Euro-Kurs mit den üblicherweise<br />
herangezogenen Fundamentalfaktoren zu begründen<br />
(JG 99 Ziffern 267 ff.). In diesem Jahr wurden diese<br />
Schwierigkeiten alles andere als geringer. Mit Blick<br />
auf den Kurs des Euro zum US-Dollar wiesen die