Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Drucksache 14/4792 – 252 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode<br />
Soweit die beitragsfreie Mitversicherung von nicht erwerbstätigen<br />
Angehörigen als Teil des Familienlastenbeziehungsweise<br />
-leistungsausgleichs angesehen wird,<br />
durch den die Kassen im Jahre 1997 mit schätzungsweise<br />
60 Mrd DM belastet wurden, ist es ebenfalls nur<br />
konsequent, diese Leistungen aus den allgemeinen<br />
Steuermitteln zu finanzieren und nicht nur aus den<br />
Lohneinkommen bis <strong>zur</strong> Beitragsbemessungsgrenze.<br />
Soweit man dagegen die Mitversicherung von nichterwerbstätigen<br />
Angehörigen nicht als eine versicherungsfremde<br />
Leistung betrachtet, sondern als eine sozialversicherungstypische<br />
Leistung, – wie dies bei den<br />
Hinterbliebenenrenten der Fall ist – gibt es keinen<br />
überzeugenden Grund, für nicht berufstätige kinderlose<br />
Ehefrauen einen Beitrag zu erheben. Denn bei einer<br />
nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip finanzierten<br />
Versicherung verbietet es sich, bei fehlender Leistungsfähigkeit,<br />
das heißt fehlendem Lohn- beziehungsweise<br />
Erwerbseinkommen eines Mitglieds, von diesem<br />
Beiträge zu verlangen. Denkbar wäre allerdings, das<br />
steuerliche Splittingprinzip auf die Beitragsfinanzierung<br />
zu übertragen. Beitragsbemessungsgrundlage<br />
wäre das hälftige Bruttolohneinkommen oder Bruttoeinkommen,<br />
von dem dann bis <strong>zur</strong> Beitragsbemessungsgrenze<br />
die Beiträge erhoben werden. In diesem<br />
Falle würde das Beitragsaufkommen immer steigen, da<br />
bei Haushalten mit einem Gutverdiener zumindest<br />
Teile von dessen über der Beitragsbemessungsgrenze<br />
liegenden und derzeit beitragsfreien Einkommen mit<br />
Krankenkassenbeiträgen des Ehepartners belegt würden.<br />
Der Preis für ein solches Vorgehen wäre – da die<br />
Arbeitgeberanteile davon unberührt blieben – ein Abrücken<br />
von der paritätischen Finanzierung, von möglichen<br />
Inkassoproblemen abgesehen.<br />
Verringerung der nicht präventiven Arztbesuche<br />
485. Ein Kennzeichen des deutschen Systems ist eine<br />
außerordentlich hohe Kontaktquote zwischen Patienten<br />
und Ambulanzärzten. Es ist bemerkenswert, dass<br />
ausweislich einer – allerdings bereits im Jahre 1989<br />
durchgeführten – Studie 18 vH der ambulanten Patienten<br />
ihre Befindlichkeitsstörungen, die sie zum<br />
Arztbesuch veranlassten, als „geringfügig“ einstuften,<br />
während die behandelnden Ärzte sogar fast 30 vH dieser<br />
Gesundheitsstörungen als „geringfügig“ ansahen.<br />
Dies kann als ein Indiz für ein kostensteigerndes medizinisch<br />
wenig begründetes Nachfrageverhalten gelten.<br />
Zur Schärfung der Eigenverantwortlichkeit für die<br />
durch einen Arztkontakt ausgelösten Kosten werden<br />
Selbstbehalte oder eine Beitragsrückgewähr diskutiert<br />
und auch empfohlen. Studien im Rahmen gesetzlicher<br />
Krankenkassen, in denen die Verhaltensbeeinflussung<br />
durch Selbstbehalte oder Beitragsrückgewähr untersucht<br />
wurden, zeigen allerdings, dass Selbstbeteiligungen<br />
mehr zu einem zusätzlichen Finanzierungsinstrument<br />
wurden und weniger als Steuerungsinstrument<br />
wirkten. Eine Beitragsrückgewähr war ebenfalls nicht<br />
mit den erwarteten nachfragedämpfenden Wirkungen<br />
verbunden, wurde aber von den Kassen <strong>zur</strong> Werbung<br />
„guter Risiken“ eingesetzt.<br />
Gleichwohl erachtet der Sachverständigenrat es als sinnvoll,<br />
über ökonomische Anreize das Kostenbewusstsein<br />
der Versicherten bei ihrer Nachfrage nach Gesundheitsleistungen<br />
zu erhöhen. Einen gangbaren Weg sehen<br />
wir in einer Praxisgebühr, die bei jeder Erkrankung<br />
für den Erstbesuch einer ambulanten Praxis zu erheben<br />
wäre. Dies auch, um so durch Erstkontakte ermöglichten<br />
angebotsseitigen Nachfrageausweitungen zu begegnen.<br />
Von dieser Praxisgebühr, die allerdings nicht den Ärzten,<br />
sondern den Krankenkassen zufließen sollte,<br />
wären chronisch Kranke, Verunfallte und Kinder auszunehmen.<br />
Und ebenfalls sollte die Inanspruchnahme<br />
von präventiven Untersuchungsangeboten nicht mit einer<br />
solchen Gebühr belegt werden. Wir erwarten, dass<br />
so einerseits die Anzahl der Arztbesuche aufgrund nur<br />
geringfügiger Beeinträchtigungen <strong>zur</strong>ückgeht und andererseits<br />
die Selbstbehandlung von Bagatellerkrankungen<br />
selbstverständlicher wird.<br />
Eine flankierende Maßnahme <strong>zur</strong> Reduzierung der<br />
nicht präventiven Arztkontakte könnte eine generelle<br />
Zulässigkeit von Krankmeldungen durch die Betroffenen<br />
selbst sein. Um die damit verbundenen Missbrauchsmöglichkeiten<br />
zu begrenzen, wäre es dann aber<br />
wohl notwendig, diese Möglichkeit mit einer Zeitkontenregelung<br />
oder mit Karenztagen zu kombinieren.<br />
Zweifelhaft ist, ob der im Zusammenhang mit einer nachfragedämpfenden<br />
Erhöhung des Kostenbewusstseins der Versicherten<br />
oft geforderte generelle Übergang vom Sachleistungsprinzip<br />
zum Erstattungsprinzip bereits auf absehbare<br />
Zeit zu der erwarteten Kosteneinsparung führt. Diese Zweifel<br />
begründen sich zum einen in dem Umstand, dass die gesetzlichen<br />
Krankenkassen <strong>zur</strong>zeit – auch aus Datenschutzgründen<br />
– keine Einzelkonten führen und damit erst nach<br />
beachtlichen Organisationsaufwendungen zum Erstattungsprinzip<br />
übergehen könnten. Ferner ist zu bedenken, dass eine<br />
Abkehr vom Sachleistungsprinzip unter dem Regime einer<br />
Budgetierungspolitik zu einer Sprengung des bisherigen Finanzierungsrahmens<br />
über angebotsseitige Nachfrageausweitungen<br />
insbesondere im ambulanten Bereich führen<br />
dürfte. Denn die ärztlichen Honorare können nur dann<br />
budgetiert werden, wenn diese aus dem limitierten und entsprechend<br />
der jeweiligen Honorarverteilungsmaßstäbe aufgeteilten<br />
Honorarrahmen der einzelnen Kassenärztlichen<br />
Vereinigungen angewiesen werden. Bei einer Vorfinanzierung<br />
der ärztlichen Honorare durch die Versicherten wäre<br />
eine solche Begrenzung nicht möglich.<br />
Kopf- und Fallpauschalen statt Einzelleistungsvergütungen<br />
486. Während durch die „GKV-Gesundheitsreform<br />
<strong>2000</strong>“ für den Krankenhausbereich das zu einer<br />
Streckung der Verweildauer anreizende Pflegesatzsystem<br />
durch die Erstattung von Fallpauschalen ersetzt<br />
und dadurch ein ökonomisch richtiger Anreiz zu einer<br />
möglichst wirtschaftlichen stationären Behandlung