Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 195 – Drucksache 14/4792<br />
Entwicklungen der Leistungsbilanzen eigentlich in<br />
Richtung einer Aufwertung der europäischen Währung.<br />
Aufgrund der Unterschiede bei staatlichen Zinstiteln<br />
gilt das ebenfalls. Betrachtet man anstelle der<br />
Renditeentwicklung staatlicher Schuldtitel, die in den<br />
Vereinigten Staaten aufgrund des durch Haushaltsüberschüsse<br />
reduzierten Emissionsvolumens verzerrt<br />
sein dürfte, die Zinsdifferenz privater Anlagen – gemessen<br />
anhand von Swapsätzen – zeigt sich, wenn<br />
auch leicht zeitverzögert, ein ähnliches Bild. Am ehesten<br />
dürften noch Unterschiede in der wirtschaftlichen<br />
Dynamik die Kursentwicklung in diesem Jahr beeinflusst<br />
haben, vor allem der Umstand, dass sich in den<br />
Vereinigten Staaten die seit Jahren kräftige Expansion<br />
auch in diesem Jahr stärker als erwartet fortgesetzt hat<br />
und dementsprechend Kapitalanlagen in den Dollar-<br />
Raum angezogen wurden. Doch die verbesserte Wirtschaftsentwicklung<br />
im Euro-Raum sprach nicht für einen<br />
fortgesetzten Wertverlust in der verzeichneten<br />
Größenordnung.<br />
In der öffentlichen Diskussion ist argumentiert worden,<br />
dass die Euro-Schwäche die Einschätzung der international<br />
disponierenden Kapitalanleger wiedergäbe, wonach<br />
strukturelle Hemmnisse auf den Gütermärkten<br />
und vor allem auf den Arbeitsmärkten der großen<br />
Volkswirtschaften des Euro-Raums das Wachstumstempo<br />
verlangsamten und namentlich die Neue Ökonomie<br />
als eigenständige Antriebskraft behinderten. In<br />
diese Einschätzung dürften auch die von der Europäischen<br />
Zentralbank selber festgestellten Rückstände<br />
bei den strukturellen Reformen eingeflossen sein.<br />
Tatsächlich sind Anzeichen eines mit den Vereinigten<br />
Staaten vergleichbaren Produktivitätswachstums im<br />
Euro-Raum noch nicht zu erkennen. Insoweit aber das<br />
starke Wirtschaftswachstum in den Vereinigten Staaten<br />
von Investitionen in die Informationstechnologien getrieben<br />
wird, spricht vieles dafür, dass die Impulse der<br />
Neuen Ökonomie mittelfristig auch in Europa wirken<br />
werden. Die Effekte einer Querschnittstechnologie,<br />
wie es die Informations- und Kommunikationstechnologien<br />
sind, werden angesichts der engen wirtschaftlichen<br />
Verflechtung zwischen den Industriestaaten<br />
schwerlich auf das Gebiet nur eines Landes begrenzt<br />
bleiben. Nach unseren Erwartungen werden sich schon<br />
im kommenden Jahr die Unterschiede im Konjunkturverlauf<br />
zwischen beiden Wirtschaftsräumen verringern<br />
(Ziffer 276), zumal auch auf anderen Gebieten die<br />
Wirtschaft des Euro-Raums im laufenden Jahr ein<br />
gutes Stück vorangekommen ist: Die Arbeitslosigkeit<br />
ging <strong>zur</strong>ück, der Beschäftigungsaufbau setzte sich beschleunigt<br />
fort, und die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen<br />
verbesserten sich durch beschlossene<br />
oder angekündigte Steuerreformen in wichtigen Ländern.<br />
348. Aus alledem zu folgern, die Märkte seien in ihrer<br />
gegenwärtigen Beurteilung des Euro blind für Fundamentalfaktoren<br />
und einzig in spekulativem Kurzfristdenken<br />
verfangen, hieße, es sich zu leicht zu<br />
machen. Es sind nicht Fakten, die den aktuellen Wechselkurs<br />
bestimmen, sondern Bewertungen von Fakten<br />
sowie Erwartungen. Darin gehen alle möglichen Informationen<br />
ein, ohne dass man immer genau wüsste, wie.<br />
Es kann sogar vorkommen, dass gleichartige Nachrichten<br />
über das wirtschaftliche Geschehen in den Vereinigten<br />
Staaten und das in Europa von den Marktteilnehmern<br />
unterschiedlich wahrgenommen und bewertet<br />
werden. Und während sich die Indizien eines dauerhaft<br />
höheren Produktivitätspfades in den Vereinigten Staaten<br />
verstärkt haben, scheint für die Länder der Währungsunion<br />
die Auffassung vorzuherrschen, die wirtschaftlichen<br />
Erfolge der <strong>zur</strong>ückliegenden Monate seien<br />
lediglich Ausdruck eines normalen Musters zu Beginn<br />
eines zyklischen Aufschwungs. In einem solchen Umfeld<br />
haben die für den Euro als junge Währung sprechenden<br />
ökonomischen Faktoren nicht den erwünschten<br />
Einfluss auf die Kursentwicklung.<br />
349. Solange diese Grundstimmung anhält, haben Devisenmarktinterventionen<br />
nur eine begrenzte Wirkung,<br />
und das auch nur, wenn sie im Verbund mit anderen Notenbanken<br />
ein Signal an die Marktteilnehmer aussenden,<br />
dass es kostspielig sein kann, Fundamentalfaktoren<br />
aus dem Investitionskalkül allzu lange auszublenden.<br />
Die konzertierte Stützungsoperation der wichtigsten<br />
Notenbanken der G7-Länder zugunsten des Euro vom<br />
September dieses Jahres hat nicht zu einer durchgreifenden<br />
Kurserholung geführt, die wiederholten unilateralen<br />
Interventionen durch die Europäische Zentralbank<br />
Anfang November ebenfalls nicht. Phasen deutlicher<br />
Abweichungen von einem fundamental begründbaren<br />
Kursniveau sind in der Geschichte flexibler Wechselkurse<br />
seit dem Ende des Systems von Bretton Woods<br />
nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich wäre es hingegen,<br />
käme es zu einer permanenten Abweichung, denn ab einem<br />
bestimmten Punkt setzen vernachlässigte Fundamentalfaktoren<br />
einen Umkehrprozess in Gang. Hierauf<br />
sollte die Europäische Zentralbank vertrauen. Weitere<br />
Interventionen hingegen könnten an den Märkten wirkungslos<br />
verpuffen und – schlimmer noch – die Glaubwürdigkeit<br />
der europäischen Geldpolitik untergraben.<br />
Die Europäische Zentralbank sollte sich nicht der Gefahr<br />
aussetzen, durch Wechselkursinterventionen Zweifel<br />
an ihrer Stabilitätsorientierung in Bezug auf den Binnenwert<br />
des Euro aufkommen zu lassen. Allein über die<br />
Beibehaltung und Kommunikation eines konsequent<br />
auf Wahrung der Preisniveaustabilität ausgerichteten<br />
Kurses tut die Geldpolitik in der gegenwärtigen Situation<br />
das Bestmögliche, um den Außenwert des Euro zu<br />
stärken.<br />
Exkurs: Gleichgewichtige Wechselkurse<br />
350. Die starke Abwertung des Euro hat zu einer lebhaften<br />
öffentlichen Debatte über die Determinanten der<br />
Wechselkursentwicklung geführt, insbesondere darüber,<br />
wie die Kursentwicklung in realer Rechnung<br />
zu bewerten ist. Als Beurteilungsmaßstab, ob eine<br />
Währung gemessen an ökonomischen Fundamentalfaktoren<br />
unterbewertet oder überbewertet ist, dient das<br />
Konzept des Gleichgewichtskurses. Diesem Konzept