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Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243 – Drucksache 14/4792<br />

kassenärztlichen Honorarsystems haben ergeben,<br />

dass Anreize bestehen, Einzelleistungen effizient zu<br />

produzieren, aber die zum Behandlungserfolg<br />

erforderlichen Einzelleistungen nicht kostenminimierend,<br />

sondern nach dem höheren Kosten(über)-<br />

deckungsgrad zu kombinieren. Eine solche<br />

Tendenz zu einer angebotsseitig induzierten Nachfrageausweitung<br />

dürfte umso ausgeprägter sein, je<br />

höher die Ärztedichte und damit die Konkurrenz um<br />

die Patienten sind und je freier ein Arzt in der Wahl<br />

der Diagnoseverfahren und der Therapie ist.<br />

– Ein exzessives Angebotsverhalten wird dadurch erleichtert,<br />

dass eine Kontrolle der tatsächlich erbrachten<br />

Leistungen und damit auch eine Evaluierung<br />

von Behandlungsqualität und -ergebnissen<br />

derzeit nur begrenzt möglich ist. Die zum Beispiel<br />

von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen<br />

Medizinischen Fachgesellschaft oder der<br />

Zentralstelle der deutschen Ärzteschaft <strong>zur</strong> Qualitätssicherung<br />

in der Medizin entwickelten (Behandlungs-)Leitlinien<br />

– dies sind Aussagen mit<br />

Empfehlungscharakter auf der Basis des aktuellen<br />

Wissens – haben keinerlei Verbindlichkeit und werden<br />

zudem von der Mehrzahl der Ärzte als Eingriffe<br />

in die freie Ausübung ihres Berufes abgelehnt.<br />

– Ein exzessives Nachfrageverhalten, welches unter<br />

den gegebenen Umständen individuell rational ist,<br />

aber gesamtwirtschaftlich eine Fehlentwicklung<br />

darstellt, wird begünstigt durch die derzeitige Intransparenz<br />

hinsichtlich der tatsächlichen Höhe und<br />

der Verteilung der so verursachten Kosten. Denn<br />

der Kassenpatient weiß typischerweise nicht, welche<br />

Leistungen er in Anspruch genommen hat, da er<br />

diese nicht quittieren muss oder kann, was diese<br />

Leistungen kosten, da das Sachleistungsprinzip dominiert,<br />

wie sich diese Kosten zusammensetzen<br />

und über wen sie abgerechnet und bezahlt werden.<br />

– Die für den Patienten kostenlose und uneingeschränkt<br />

freie Arztwahl – auch für Fachärzte – führt<br />

zu gesundheitsspezifisch vielfach irrelevanten kostenträchtigen<br />

Mehrfachuntersuchungen und auch<br />

zu nicht abgestimmten Parallelbehandlungen.<br />

Deutschland ist der einzige moderne Industriestaat<br />

mit einer freien Wahl auch von Fachärzten durch<br />

den Versicherten. Hier gibt es keine etablierte der<br />

fachärztlichen Behandlung vorgelagerte Gatekeeper-Institution.<br />

Als eine Art Lotse fungierend würde<br />

der Hausarzt nicht nur als behandelnder Arzt tätig<br />

werden, sondern hätte darüber hinaus auch die<br />

Funktion, wenn ein Krankheitsverdacht oder<br />

Krankheitsbefund jenseits seines Kompetenzbereichs<br />

liegt, seinen Patienten zu den Fachärzten zu<br />

führen, die Kette der <strong>zur</strong> Heilung erforderlichen<br />

medizinischen Leistungen zu koordinieren und zudem<br />

alle Behandlungen und Befunde zu registrieren<br />

und zu sammeln. Die im internationalen Vergleich<br />

einmalig hohe Anzahl niedergelassener Fachärzte<br />

in Deutschland ist Indiz und Folge dieser fehlenden<br />

Gatekeeper-Institution. Eine steigende Kapitalintensität<br />

der eingesetzten Medizintechnik in den<br />

Arztpraxen und die damit verbundenen Kapazitätsauslastungszwänge<br />

erhöhen – zumal bei steigender<br />

Ärztedichte – die Wahrscheinlichkeit von Paralleldiagnosen<br />

und -therapien. Als Beleg dafür kann angesehen<br />

werden, dass im Ausschuss für Qualitätssicherung<br />

der Deutschen Röntgengesellschaft auf der<br />

Jahrestagung 1999 die Ansicht vertreten wurde,<br />

etwa die Hälfte aller Röntgenuntersuchungen sei<br />

überflüssig.<br />

474. Auch die institutionelle Ebene, auf der über die<br />

Verteilung des Beitragsaufkommens auf die verschiedenen<br />

Anbieter von Gesundheitsleistungen entschieden<br />

wird, weist zahlreiche effizienzfeindliche, korporatistische<br />

Verkrustungen und Organisationsmängel<br />

auf:<br />

– Die regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen<br />

und ihr Zusammenschluss auf Bundesebene sind<br />

die Selbstverwaltungsorganisationen der niedergelassenen<br />

Ärzte. Diese Kassenärztlichen Vereinigungen<br />

führen die Honorarverhandlungen mit den<br />

Krankenkassen beziehungsweise mit deren Verbänden;<br />

ihnen obliegt der Gewährleistungsauftrag, das<br />

heißt die Kontrolle der Honorarabrechnungen ihrer<br />

Mitglieder sowie die Anweisung der Vergütungen<br />

an die bei ihnen organisierten Ärzte. Hinsichtlich<br />

des Einkommens ihrer Mitglieder haben die Kassenärztlichen<br />

Vereinigungen einen außerordentlich<br />

großen Einfluss, denn sie handeln nicht nur mit den<br />

Krankenkassen die Gesamtvergütung der bei ihnen<br />

organisierten Ärzte aus, sondern bestimmen auch<br />

für ihre Gebiete die Honorarverteilungsmaßstäbe,<br />

nach denen das ausgehandelte Gesamthonorar auf<br />

die verschiedenen Disziplinen und Ärzte verteilt<br />

wird. Die Folge dieser gleichermaßen zu internen<br />

Verteilungskonflikten wie aber auch <strong>zur</strong> Stärkung<br />

der Vertretungsmacht gegenüber den Krankenkassen<br />

führenden Verhandlungs- und Honorarverteilungskompetenz<br />

sind regional stark streuende<br />

Punktwerte für die gleiche ärztliche Einzelleistung<br />

und damit regional deutlich differierende Ärzteeinkommen<br />

bei gleichen Punktzahlen. Über die Zulassung<br />

eines Arztes als Kassenarzt entscheiden zwar<br />

formal die von Vertretern der Krankenkassen und<br />

der Kassenärztlichen Vereinigungen paritätisch besetzten<br />

Zulassungsausschüsse, de facto aber die<br />

Kassenärztlichen Vereinigungen. Bei diesen Institutionen<br />

liegen somit die Kapazitätssteuerung wie<br />

auch der Sicherstellungsauftrag, das heißt die Verantwortung<br />

für eine flächendeckende ambulante<br />

Versorgung. Die 23 Kassenärztlichen Vereinigungen,<br />

in denen im Jahre 1999 etwa 113 000 Kassenärzte<br />

Zwangsmitglieder waren, stellen Regionalkartelle<br />

dar, denn nur sie können mit den<br />

Krankenkassen Verträge hinsichtlich der Vergütung<br />

ihrer Mitglieder abschließen. Der Sicherstellungsauftrag<br />

und der Umstand, dass es den Krankenkassen<br />

bis zum „GKV-Gesundheitsreformgesetz <strong>2000</strong>“<br />

– außerhalb von begrenzten Modellversuchen und

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