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Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

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Drucksache 14/4792 – 180 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode<br />

zess um sachgerechte Lösungen bei der Verteilung<br />

knapper öffentlicher Finanzmittel nicht belastet.<br />

320. In der Debatte um die weitere Wirtschaftsförderung<br />

in Ostdeutschland wird von verschiedenen Seiten<br />

gerne das Argument geführt, in Deutschland sollten<br />

gleichwertige Lebensverhältnisse herrschen. Und somit<br />

verbiete es sich, angesichts des in Ostdeutschland noch<br />

deutlich niedrigeren Einkommens- und Beschäftigungsniveaus,<br />

die Hilfen für die neuen Bundesländer zu<br />

verringern. Dies ist ein auch in Westdeutschland gängiges<br />

Argument, um bündische Solidarität einzufordern.<br />

Dennoch kann es nicht überzeugen. Von Verfassung wegen<br />

gibt es kein Staatsziel <strong>zur</strong> Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse<br />

im Sinne gleicher Einkommensniveaus.<br />

Das im Grundgesetz genannte Postulat betrifft<br />

zwei Sachverhalte: die Kompetenzen des Bundes im<br />

Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung (Artikel 72<br />

GG) und die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens<br />

auf Bund und Länder (Artikel 106 GG). Diese sind so<br />

zu regeln, dass gleichwertige Lebensverhältnisse hergestellt<br />

werden können. Namentlich das Angebot an öffentlichen<br />

Leistungen soll zwischen den Ländern möglichst<br />

ähnlich sein, sodass sich jeder Bürger überall als<br />

Bürger der Bundesrepub-lik Deutschland fühlen kann<br />

und gleiche Chancen <strong>zur</strong> Selbstentfaltung vorfindet.<br />

Ein grundgesetzliches Gebot, durch wirtschaftspolitische<br />

Maßnahmen auf Bundesebene darauf hinzuwirken,<br />

dass der Lebensstandard in Ostdeutschland dem<br />

westdeutschen Niveau entspricht, besteht nicht. Im alten<br />

Bundesgebiet gibt es gegenüber einzelnen Ländern<br />

eine solche Pflicht auch nicht, und Lebensstandard und<br />

Lebensqualität der westdeutschen Bevölkerung unterscheiden<br />

sich regional durchaus.<br />

Den Menschen in Ostdeutschland sollte nicht etwas<br />

versprochen werden, was dann unter realen Bedingungen<br />

nicht zu halten ist. Vielmehr ist darüber aufzuklären,<br />

dass in einer freiheitlichen Ordnung der Staat,<br />

auch wenn er wollte, überhaupt nicht in der Lage ist,<br />

ein bestimmtes, als angemessen angesehenes Einkommensniveau<br />

zu garantieren. Dieses ergibt sich in einem<br />

dezentralen Prozess aus den Privatinitiativen und dem<br />

arbeitsteiligen Wirtschaften, aus den Investitionen in<br />

das Sachkapital und das Humankapital, aus der Kreativität<br />

und dem Wagemut im unternehmerischen Handeln,<br />

aus dem Arbeitswillen und dem beruflichen<br />

Vorwärtsstreben des Einzelnen. Solche Neigungen,<br />

Talente und Lebenseinstellungen sind nun einmal nicht<br />

bei allen Wirtschaftssubjekten gleichermaßen ausgeprägt<br />

und können vom Staat auch nicht gleichgemacht<br />

werden. Aufgabe des Staates ist es hingegen, gesamtwirtschaftliche<br />

Rahmenbedingungen herzustellen und<br />

laufend zu verbessern, die es den Menschen ermöglichen,<br />

die selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Davon<br />

war bereits die Rede. Mit der Zeit dürfte sich in<br />

Deutschland ein Leistungsgefälle nicht mehr als West-<br />

Ost-Gefälle manifestieren, wie gegenwärtig noch, sondern<br />

zwischen einzelnen Regionen, die zum Teil im<br />

Westen, zum Teil im Osten des Landes liegen.<br />

321. Ein anderes Thema betrifft das Erfordernis weiterer<br />

Transfers zugunsten der neuen Bundesländer, das<br />

sich aus deren noch niedriger originärer Finanzkraft ergibt;<br />

je Einwohner gerechnet liegt diese im Durchschnitt<br />

bei etwa 55 vH des westdeutschen Durchschnitts.<br />

Zu Transferzahlungen werden die übrigen,<br />

finanzstärkeren Länder und der Bund bereit sein, selbst<br />

über einen längeren Zeitraum hinweg. Bei der durch<br />

das Bundesverfassungsgericht aufgegebenen Neuordnung<br />

des Länderfinanzausgleichs, einschließlich der<br />

Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen, können<br />

die entsprechenden Regelungen getroffen werden.<br />

Dabei ist unbedingt darauf zu achten, dass diese Regelungen<br />

anreizkompatibel sind, also die neuen Länder<br />

wie auch die alten stimulieren, die Quellen für eigene<br />

Steuereinnahmen zu pflegen und zu vergrößern, am besten<br />

durch eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik.<br />

Auch hier ist es nicht sinnvoll, von einer auf Dauer<br />

unvermeidlichen Abhängigkeit der neuen Bundesländer<br />

von externen Transferzahlungen auszugehen. Dem<br />

Modell, das der Sachverständigenrat <strong>zur</strong> Diskussion<br />

stellt, liegt eine solche Leitvorstellung zugrunde (Ziffern<br />

356 ff.).<br />

III. Offensiv die Globalisierung und<br />

den technologischen Umbruch<br />

annehmen<br />

322. Noch einmal: Die Wirtschaftspolitik darf nicht<br />

darauf vertrauen, dass die derzeit günstige konjunkturelle<br />

Entwicklung eine solide Basis für ein sich selbst<br />

tragendes Wirtschaftswachstum darstellt, in dessen<br />

Verlauf es gelingen wird, befriedigende Fortschritte<br />

beim Beschäftigungsziel zu erreichen. Sie darf auch<br />

nicht meinen, die zentralen wichtigen Aufgaben erledigt<br />

zu haben, so wichtig das bisher Geleistete auch ist.<br />

In Wirklichkeit ist erst ein Anfang gemacht worden, um<br />

die Wirtschaft und Gesellschaft auf die Herausforderungen<br />

vorzubereiten, die der intensivierte globale<br />

Wettbewerb und die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien<br />

darstellen. Die Chancen, die die<br />

Vergrößerung der Märkte und die Erleichterung der<br />

Kommunikation für Unternehmen und Arbeitnehmer<br />

eröffnen, sind enorm. Die düsteren Prognosen, die in<br />

einzelnen Kreisen gepflegt werden, sind einseitig und<br />

schüren unnötig Ängste, selbst wenn es unstrittig ist,<br />

dass es in solchen Prozessen auch Verlierer geben wird.<br />

Man sollte nicht unterstellen, dass die Menschen nicht<br />

in der Lage oder bereit sind, bisherige Verhaltensweisen<br />

und Gewohnheiten, soweit sie der Wahrnehmung<br />

neuer Chancen im Wege stehen, zu ändern; die meisten<br />

Menschen wissen schon aus eigener Erfahrung sehr<br />

wohl, dass ohne Anpassungen an sich verändernde<br />

Rahmenbedingungen nichts zu gewinnen ist und sogar<br />

Nachteile drohen. Auch die Behauptung, die nationale<br />

Wirtschaftspolitik werde kaum noch eigene Gestaltungsmöglichkeiten<br />

haben, ist übertrieben (JG 97 Ziffer<br />

307); gerade wenn sich die Wirtschaftspolitik als<br />

moderne und zukunftweisende Politik versteht, kann<br />

sie vieles bewirken, ja auch die Anpassungsprozesse<br />

sozialverträglich abfedern. Jetzt sollte die „Gunst der<br />

Stunde“ für offensive, nach vorne gerichtete wirtschaftspolitische<br />

Weichenstellungen genutzt werden.

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