19.06.2014 Aufrufe

Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Drucksache 14/4792 – 158 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode<br />

Länder begründen in den Beitrittsverhandlungen<br />

damit ihren Wunsch nach Übergangsregelungen, die<br />

die Freizügigkeit für diesen Personenkreis einschränken.<br />

Zu Beginn der Neunzigerjahre wanderten insbesondere<br />

Ingenieure, Wissenschaftler und Ärzte<br />

verstärkt gen Westen. Insofern Personen mit nur un<strong>zur</strong>eichend<br />

ersetzbaren Schlüsselqualifikationen ausgewandert<br />

sind, kann dies hemmend auf die weitere<br />

wirtschaftliche Entwicklung wirken. Allein die Zuwanderungen<br />

nach Deutschland führten zu einer merklichen<br />

Verminderung des Anteils Hochqualifizierter an<br />

der Bevölkerung der Herkunftsländer und implizierten<br />

eine Verschlechterung der dortigen Wachstumsperspektiven.<br />

Dieses Problem eines Brain Drain ist nicht<br />

von der Hand zu weisen, sollte aber auch nicht überzeichnet<br />

werden. Es wird eine wichtige Aufgabe für<br />

diese Länder sein, auf attraktive Arbeitsbedingungen<br />

hinzuwirken, und auf diese Weise qualifizierte Kräfte<br />

im Land zu halten.<br />

Institutionelle Reformen der Europäischen Union<br />

267. Die Osterweiterung stellt die Europäische Union<br />

vor großen Reformdruck. Eine Gemeinschaft, die auf<br />

absehbare Zeit auf bis zu 28 Mitgliedstaaten anwachsen<br />

soll, kann nicht mit institutionellen Strukturen und<br />

Entscheidungsmechanismen funktionsfähig sein, die<br />

im Wesentlichen vor über 40 Jahren für die Europäische<br />

Währungsgemeinschaft mit sechs Ländern geschaffen<br />

worden waren und seitdem nicht grundlegend<br />

verändert wurden. Seit langem ist bekannt, dass vieles<br />

neu geordnet werden muss: unter anderem die Größe<br />

und Zusammensetzung der Kommission sowie vor allem<br />

die Stimmengewichtung und die Abstimmungsregeln<br />

im Ministerrat. Auf der Regierungskonferenz von<br />

Amsterdam (1997) sollten adäquate Reformen herbeigeführt<br />

werden, aber gelungen ist dies nicht. Nunmehr<br />

sollen auf der Regierungskonferenz in Nizza Ende des<br />

Jahres die unerledigten Aufgaben gelöst werden. Ob<br />

das angesichts bestehender Interessenunterschiede<br />

zwischen den gegenwärtigen Mitgliedstaaten in kurzer<br />

Zeit gelingen kann, ist offen. Es ist aber unabdingbar,<br />

die inneren institutionellen Reformen zu verabschieden,<br />

bevor die Beitrittskandidaten als neue Mitglieder<br />

aufgenommen werden.<br />

268. Die eine grundlegende Reformaufgabe betrifft<br />

die Europäische Kommission. Ihr gehören gegenwärtig<br />

20 Personen an, wobei Deutschland, Frankreich,<br />

Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich jeweils<br />

zwei Kommissare stellen, die anderen jeweils einen.<br />

Jeder Kommissar steht einem Ressort vor; dem Präsidenten<br />

der Kommission ist das Generalsekretariat zugeordnet.<br />

Der Kommission obliegt es, als „Hüterin der<br />

Verträge“ deren Einhaltung zu überwachen und Initiativen<br />

für neue Gesetzesvorhaben zu starten; die Beschlüsse<br />

werden mehrheitlich gefasst. Würden alle<br />

Länder, die einen Beitrittsantrag gestellt haben, in die<br />

Europäische Union aufgenommen, erhöhte sich nach<br />

der bestehenden Regelung die Anzahl der Kommissare<br />

auf 35 Personen. In einer derart erweiterten Kommission<br />

hätten einige Mitglieder keine wesentlichen Aufgaben<br />

zu erfüllen, oder die bestehenden Aufgabenbereiche<br />

würden stark zersplittert. In jedem Fall würden<br />

die Arbeitsfähigkeit und die Effizienz eines solch<br />

großen Gremiums sinken. Zur Reform der Europäischen<br />

Kommission hat diese selbst ein Rotationsmodell<br />

vorgeschlagen. Danach würde die Anzahl der<br />

Kommissare auf 20 festgeschrieben, und jeder Mitgliedstaat<br />

würde nach einem zuvor festgelegten Verfahren<br />

einen Platz in der Kommission erhalten, wenn<br />

auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Ein solches<br />

Verfahren würde die Arbeitsfähigkeit der Kommission<br />

stärken. Diskutiert wird auch eine Variante, bei der die<br />

fünf bevölkerungsreichsten Mitgliedstaaten permanent<br />

einen Kommissar stellen würden und bei der hinsichtlich<br />

der übrigen Länder nach dem Rotationsprinzip zu<br />

verfahren wäre. In jedem Fall sollte der Kommissionspräsident<br />

eine stärkere Rolle erhalten, indem diesem<br />

sowohl bei der Ernennung als auch bei der Aufgabenverteilung<br />

der Kommissare größere Mitentscheidungsrechte<br />

zugebilligt werden.<br />

269. Der andere Kern der institutionellen Reform betrifft<br />

den Europäischen Rat. Bei diesem handelt es<br />

sich um das wichtigste Beschlussorgan der Europäischen<br />

Union, in ihn entsenden alle Mitgliedstaaten<br />

grundsätzlich ein Regierungsmitglied. Die Zusammensetzung<br />

des Rates hängt von dem Sachgebiet ab,<br />

so besteht der ECOFIN-Rat beispielsweise aus den<br />

Wirtschafts- und Finanzministern der Mitgliedstaaten.<br />

Der Vorsitz wechselt alle sechs Monate, und je nach<br />

Sachgebiet müssen die Entscheidungen einstimmig,<br />

mit einfacher Mehrheit oder mit qualifizierter Mehrheit<br />

der insgesamt 87 Stimmen getroffen werden. Zur<br />

Bestimmung der qualifizierten Mehrheit werden die<br />

einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich gewichtet,<br />

wobei die großen Länder Deutschland, Frankreich,<br />

Italien und das Vereinigte Königreich mit jeweils zehn<br />

Stimmen das größte Gewicht erhalten, Luxemburg als<br />

kleinstes Land hat mit zwei Stimmen das geringste<br />

Gewicht. Die qualifizierte Mehrheit liegt bei 62 Stimmen<br />

(71,26 vH), die Sperrminorität demnach bei 26<br />

Stimmen. Die Stimmengewichtung soll gewährleisten,<br />

dass weder die vier großen Mitgliedstaaten mit<br />

insgesamt 40 Stimmen allein etwas beschließen können,<br />

noch die elf anderen Länder mit ihren insgesamt<br />

47 Stimmen. Würde das gegenwärtige System beibehalten,<br />

so wären nach der Erweiterung der Europäischen<br />

Union um 12 Staaten im Ministerrat insgesamt<br />

135 Stimmen vertreten, die qualifizierte Mehrheit<br />

läge bei 96 Stimmen, die Sperrminorität bei 40 Stimmen.<br />

Die mittel- und osteuropäischen Mitgliedsländer<br />

würden zusammen über diese Sperrminorität

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!