Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Drucksache 14/4792 – 184 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode<br />
ausübung wohl nach und nach faktisch ausgehebelt.<br />
Für den Gesetzgeber sollte dies Anlass sein, die<br />
noch unerledigten Deregulierungsaufgaben an der<br />
Handwerksordnung in Angriff zu nehmen. Wegen<br />
der im europäischen Binnenmarkt garantierten<br />
Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit und<br />
wegen des durch die europäische Rechtsprechung<br />
etablierten Vorrangs für das Ursprungslandprinzip<br />
wird Handwerksunternehmen aus den anderen EU-<br />
Mitgliedstaaten, die den obligatorischen Meisterbrief<br />
nicht kennen – das sind alle außer Luxemburg<br />
und Österreich –, der Zugang zum deutschen Markt<br />
über die bereits bestehenden Erleichterungen<br />
hinaus vollkommen offen stehen müssen; das zu<br />
dulden und gleichzeitig für die deutschen Handwerker<br />
weiterhin die Gewerbefreiheit einzuschränken,<br />
würde auf eine Inländerdiskriminierung hinauslaufen,<br />
die mit dem Gleichbehandlungsgebot<br />
des Artikel 3 GG kollidieren dürfte. Man kann davon<br />
ausgehen, dass auch bei einer Lockerung des<br />
Meisterbrief-Obligatoriums die Anreize, beruflich<br />
auszubilden, im einzelwirtschaftlichen Kalkül stark<br />
genug bleiben, und dass die erwünschte Qualität<br />
handwerklicher Leistungen durch den Wettbewerb<br />
der Handwerksbetriebe um die Gunst der Verbraucher<br />
gewährleistet wird.<br />
– Der Kanon unzeitgemäßer Regulierungen setzt sich<br />
fort mit der Aufrechterhaltung von Monopolrechten<br />
im Postbereich. Schon bei der Liberalisierung des<br />
Postwesens im Jahre 1998, als der Gesetzgeber der<br />
Deutschen Post AG eine bis 2002 währende Exklusivlizenz<br />
unter anderem für die Beförderung<br />
von Briefen mit einem Einzelgewicht bis zu<br />
200 Gramm einräumte, entstand eine Wettbewerbsverzerrung<br />
zulasten neuer Anbieter von Briefdiensten<br />
und eine Benachteiligung der Nutzer. Der Bundesminister<br />
für Wirtschaft und Technologie hat<br />
diesen Sonderstatus festgeschrieben, indem er die<br />
Regulierungsbehörde für Telekommunikation und<br />
Post im März dieses Jahres anwies, das zunächst bis<br />
August <strong>2000</strong> genehmigte Briefporto bis Ende 2002<br />
beizubehalten, obwohl bei Zugrundelegung der<br />
Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung, die<br />
das Postgesetz als Maßstab für die Monopolgebühren<br />
vorsieht, alles dafür sprach, das Porto zu<br />
senken, und die Regulierungsbehörde dies auch erwirken<br />
wollte. Die Liberalisierungsgegner, die<br />
seinerzeit als Preis für die Zustimmung <strong>zur</strong> Postreform<br />
die gesetzliche Verankerung der Exklusivlizenz<br />
durchgesetzt hatten, drängen jetzt sogar auf<br />
eine unbefristete Verlängerung dieses Briefmonopols<br />
über das Jahr 2002 hinaus. Dazu müsste das<br />
Gesetz geändert werden. Dass dies Bürger und Unternehmen<br />
davon abhalten könnte, immer mehr<br />
ihren Briefverkehr elektronisch abzuwickeln, kann<br />
niemand ernsthaft glauben. Eher wird die Regulierung<br />
das Gegenteil bewirken. Ein im Markt so stark<br />
positioniertes Unternehmen wie die Deutsche Post<br />
AG – im gesamten lizensierten Briefdienst hatte das<br />
Staatsunternehmen im Jahre 1999 einen Marktanteil,<br />
an den Umsätzen gemessen, von knapp 99 vH,<br />
auf dem Markt aller Postdienste einen von etwa<br />
66 vH – kann nicht überzeugend erklären, warum es<br />
des staatlichen Schutzes vor Konkurrenten bedarf,<br />
zumal eine Reihe technischer Marktzugangsbarrieren<br />
(Skalenerträge, Bekanntheitsgrad, Kosten des<br />
Wechselns bei den Kunden) einen „natürlichen“<br />
Wettbewerbsvorsprung beschert; ebenso wenig ist<br />
den Bürgern zu vermitteln, dass sie ein überhöhtes<br />
Briefporto bezahlen sollen, damit die Deutsche Post<br />
AG größere Spielräume für die Quersubventionierung<br />
der anderen, dem Wettbewerb geöffneten<br />
Dienste hat. Die Exklusivlizenz sollte, wie im Gesetz<br />
vorgesehen, zum Ende des Jahres 2002 ersatzlos<br />
auslaufen.<br />
– Ein vierter, der wohl wichtigste Regulierungsbereich,<br />
der in der Neuen Ökonomie nicht adäquat ist,<br />
betrifft jene Sachverhalte des herkömmlichen Arbeitsrechts,<br />
bei denen eine freie wirtschaftliche Entfaltung<br />
eingeschränkt wird. Kollektive Arbeitszeitregelungen<br />
sind von dieser Art. Bereits in der<br />
traditionellen Wirtschaft ist die Flexibilisierung der<br />
Arbeitszeitordnung zu einer ständigen Aufgabe geworden,<br />
um den Anpassungserfordernissen der Unternehmen<br />
und den Präferenzen der Arbeitnehmer<br />
mehr Rechnung zu tragen; inzwischen sind, nach<br />
anfänglichen Widerständen seitens der Gewerkschaften,<br />
nunmehr mit deren aktiver Mitwirkung<br />
wichtige Schritte in diese Richtung gemacht und dabei<br />
vielfältige Zeitflexibilitätsmodelle entwickelt<br />
worden. In vielen Bereichen wird man sich von der<br />
Vorstellung verabschieden müssen, dass die heute<br />
übliche Arbeitszeit die Priorität vor anderen Zeitmodellen<br />
behalten müsse, dass die Wochenarbeitszeit<br />
starr zu begrenzen und nach Möglichkeit erneut<br />
allgemein zu verkürzen sei, und dass Überstunden in<br />
den Betrieben durch allgemein geltende Regelungen<br />
auf ein Minimum zu reduzieren wären. In der informatisierten<br />
Wirtschaft ist ein solches Denken verfehlt.<br />
Wer in der Neuen Ökonomie Erfolg haben<br />
will, braucht nicht nur eine gute Idee, sondern er<br />
muss am Markt auch schnell sein, idealerweise der<br />
Erste. Er braucht größtmögliche Gestaltungsmöglichkeiten<br />
hinsichtlich der Betriebsabläufe, will er<br />
einen Wettbewerbsvorsprung gewinnen. Über elastische<br />
Arbeitszeitregelungen hinaus ist in der<br />
Neuen Ökonomie von besonderer Bedeutung, dass<br />
es genügend Raum für die Individualisierung von<br />
Arbeitsverhältnissen in Bezug auf Entlohnungsformen,<br />
Vertragsdauer und andere Arbeitsbedingungen<br />
gibt. In einem durch die Informations- und Kommunikationstechnologien<br />
geprägten Umfeld, in dem<br />
die Grenzen zwischen abhängiger Beschäftigung<br />
und autonomer Tätigkeit verwischen, Mitarbeiter in<br />
den Betrieben zunehmend Mitunternehmer mit eigenen<br />
Verantwortungsbereichen sind und Teilhabe<br />
an den Entwicklungschancen, aber auch an den Risiken<br />
haben, die Bewertung von Arbeit vom Ergebnis<br />
her statt von der kontrahierten Zeit einen höheren<br />
Stellenwert bekommt und letztlich auch die<br />
traditionelle Trennung zwischen der betrieblichen<br />
und der häuslichen Sphäre sich immer mehr auflöst,<br />
kann es einen absoluten Vorrang für den kollektiven<br />
Tarifvertrag und das Prinzip des unbefristeten