19.06.2014 Aufrufe

Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 191 – Drucksache 14/4792<br />

und Finanzminister gegenüber der Notenbank zu stärken,<br />

sind nicht unproblematisch, weil in diesem Fall<br />

die Europäische Zentralbank in ihren Zielsetzungen<br />

und geldpolitischen Entscheidungen von politischer<br />

Seite beeinflusst werden könnte. Wir haben vor solchen<br />

Vorstellungen, als sie erstmals aufkamen, gewarnt<br />

(JG 97 Ziffer 418) und raten auch jetzt, alles zu vermeiden,<br />

was die Gefahr eines Vertrauensverlustes in<br />

die neue Währung heraufbeschwören könnte.<br />

339. Im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion<br />

stand auch im zweiten Jahr der Europäischen<br />

Währungsunion die geldpolitische Strategie der Zentralbank.<br />

Am wenigsten umstritten ist die grundsätzliche<br />

Bedeutung, die in der Geldpolitik der Regelhaftigkeit<br />

zukommt. Damit verbunden ist die Forderung,<br />

dass die Europäische Zentralbank über die Zeit hinweg<br />

konsistent agiert, ihre Entscheidungen transparent und<br />

damit nachvollziehbar sind. Grundsätzlich sind zwei<br />

Formen der Regelbindung als für die Geldpolitik in der<br />

Währungsunion relevant vorstellbar: die Geldmengensteuerung<br />

und die direkte Inflationssteuerung.<br />

– Die Strategie der Geldmengensteuerung fußt auf<br />

der Vorstellung, dass langfristig die Trendentwicklung<br />

der Geldmenge und die des Preisniveaus in einem<br />

engen Zusammenhang stehen und außerdem<br />

die Zentralbank die Geldmenge durch den Einsatz<br />

ihres geldpolitischen Instrumentariums hinreichend<br />

genau steuern kann. Die Vorzüge dieser Konzeption<br />

liegen in der Objektivierung der Geldversorgung, in<br />

der für die Öffentlichkeit leichten Beobachtbarkeit<br />

der Geldmenge und in den zeitlichen Vorlaufeigenschaften<br />

des monetären Zwischenziels. Eine Abweichung<br />

des Geldmengenwachstums vom festgelegten<br />

Zielwert signalisiert frühzeitig eine potentielle<br />

Fehlentwicklung in Bezug auf die Preisniveaustabilität.<br />

Die Verstetigung der Geldversorgung im Rahmen<br />

einer potentialgerechten und mittelfristig<br />

orientierten Strategie hat darüber hinaus einen weiteren<br />

Vorteil, der vor dem Hintergrund der jüngsten<br />

amerikanischen Erfahrungen wieder an Beachtung<br />

gewonnen hat: „Spekulative Blasen“ auf den Finanzmärkten<br />

und bei Immobilien werden in der Regel<br />

durch eine übermäßige Expansion der Geldmenge<br />

und der Kreditgewährung gestützt, wenn<br />

nicht gar initiiert. Bei einer geldmengenorientierten<br />

Strategie wird das Entstehen spekulativer Übertreibungen<br />

gleichsam automatisch gebremst und so<br />

letztendlich ein hohes Maß an gesamtwirtschaftlicher<br />

Stabilität sichergestellt, das heißt, Schwankungen<br />

der Inflationsrate und der Produktion um ihre<br />

jeweiligen Trends werden gering gehalten. Der<br />

Sachverständigenrat hat aus diesen Gründen wiederholt<br />

für die Geldmengensteuerung geworben<br />

(zuletzt JG 99 Ziffern 276 ff.).<br />

– Bei der alternativen geldpolitischen Strategie der<br />

direkten Inflationssteuerung werden geldpolitische<br />

Entscheidungen aufgrund der Auswertung eines<br />

umfassenden Bündels von inflationsrelevanten Variablen<br />

getroffen, in dem die Geldmenge nur eine<br />

vernachlässigbare Rolle spielt. Wegen der Wirkungsverzögerungen<br />

geldpolitischer Entscheidungen<br />

wird der Handlungsbedarf der Zentralbank aus<br />

Inflationsprognosen abgeleitet. Die geldpolitischen<br />

Instrumente werden so eingesetzt, dass die unbedingte<br />

Inflationsprognose der Notenbank (das ist<br />

diejenige, die sich unter Berücksichtigung der<br />

zukünftigen Geldpolitik ergibt) mit dem angekündigten<br />

Inflationsziel übereinstimmt. Zentrale Voraussetzung<br />

für eine erfolgreiche Inflationssteuerung<br />

ist somit eine genaue Inflationsprognose,<br />

deren Qualität wesentlich von der Stabilität der makroökonomischen<br />

Grundzusammenhänge abhängt.<br />

Sowohl die Trennung des Zeitpunkts der geldpolitischen<br />

Entscheidungen von dem Zeitpunkt der<br />

Feststellung einer effektiven Zielverfehlung als<br />

auch die den Prognosen inhärenten Unsicherheiten<br />

stellen besonders hohe Anforderungen an die Kommunikationspolitik<br />

der Zentralbank. Im Vereinigten<br />

Königreich und Schweden beispielsweise, wo diese<br />

Konzeption angewandt wird, versuchen die jeweiligen<br />

Notenbanken, mit Hilfe sehr detaillierter Inflationsberichte<br />

auf die Bildung stabiler Erwartungen<br />

hinzuwirken.<br />

Seit dem Übergang <strong>zur</strong> Europäischen Währungsunion<br />

sind die Unsicherheiten über die monetären Grundrelationen<br />

und den Transmissionsmechanismus geldpolitischer<br />

Impulse auf das Preisniveau, die anfangs bestanden,<br />

nicht kleiner geworden. Neue ökonometrische<br />

Untersuchungen lassen den Schluss zu, dass die Deutsche<br />

Bundesbank die Geldmengenentwicklung ausreichend<br />

kontrollierte und in Deutschland die Geldnachfrage<br />

hinreichend stabil war; für den Euro-Raum<br />

insgesamt sind die Ergebnisse nicht eindeutig. Ob dies<br />

ein Übergangsproblem ist oder aber doch ein fundamentaler<br />

Strukturbruch vorliegt, bei dem sich früher<br />

feste Zusammenhänge gelöst haben, bedarf der weiteren<br />

Erforschung, bei der unter anderem schwierige methodische<br />

und statistische Probleme zu lösen sind.<br />

Streng genommen wird man erst in einer weiteren Zukunft,<br />

wenn der Euro mit allen Geldfunktionen fest etabliert<br />

ist und der Gebrauch der gemeinsamen Währung<br />

durch die Wirtschaftssubjekte mit den einschlägigen<br />

statistischen Indikatoren erfasst wird, klare Antworten<br />

haben. Zu diesen Unsicherheiten kommen Unwägbarkeiten<br />

hinzu, die sich aus der Neuen Ökonomie ergeben<br />

und die Frage nach einem veränderten Wachstumspfad<br />

der europäischen Volkswirtschaft betreffen.<br />

Anders gewendet: Es ist derzeit nicht möglich, verlässliche<br />

empirische Aussagen über die Spezifizierung und<br />

Stabilität der monetären Grundrelationen zu machen,<br />

die die Basis der beiden reinen Strategien bilden.<br />

340. Die Zwei-Säulen-Strategie, für die sich der<br />

EZB-Rat im Oktober 1998 entschieden hat, ist theoretisch<br />

nicht weniger anspruchsvoll und in der Praxis<br />

nicht einfacher zu handhaben als die beiden reinen<br />

Strategien. Die erste Säule entspricht in ihren Grundlagen<br />

einer potentialorientierten, mittelfristig ausgerichteten<br />

Geldmengensteuerung. Die zweite Säule erfasst

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!