Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Drucksache 14/4792 – 144 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode<br />
und mit Nominallohnveränderungen. Letztere orientieren<br />
sich an der erwarteten Inflation sowie an der erwarteten Veränderung<br />
der Arbeitsproduktivität. Die Differenz zwischen<br />
der tatsächlichen und der inflationsstabilen Arbeitslosenquote<br />
bestimmt die jeweilige Verhandlungsmacht der lohnsetzenden<br />
Parteien: Befindet sich die tatsächliche Arbeitslosenquote<br />
auf niedrigem (hohem) Niveau relativ <strong>zur</strong> NAIRU, so<br />
ist die Verhandlungsposition der Arbeitnehmervertreter verhältnismäßig<br />
stark (schwach).<br />
236. Diesen modelltheoretischen Überlegungen zufolge<br />
führt die Verringerung der Arbeitslosenquote für<br />
sich genommen zu einem Anstieg der Inflationsrate.<br />
Dass es in den Vereinigten Staaten dazu nicht kam, lässt<br />
sich in diesem Modellrahmen wie folgt erklären: Die<br />
Verringerung der Arbeitslosenquote wurde durch positive<br />
Angebotsschocks, durch eine Reduktion der NAIRU<br />
oder durch eine Verringerung der Inflationserwartungen<br />
kompensiert. Eine weitere Erklärung könnte in einer<br />
Lockerung des Zusammenhangs zwischen der Beschäftigungssituation<br />
und der Lohn- beziehungsweise Preisentwicklung<br />
liegen. Auch eine Kombination der unterschiedlichen<br />
Faktoren mag der Grund dafür sein, dass<br />
der Inflationsdruck in den Vereinigten Staaten ausgeblieben<br />
ist.<br />
237. Frühere Studien berücksichtigten bei ihrer Inflationsprognose<br />
die relevanten Angebotsschocks nicht<br />
angemessen; sie gingen zudem von einer konstanten<br />
NAIRU von 6 vH in den Vereinigten Staaten aus – so legen<br />
es Schätzungen für den Zeitraum von 1978 bis<br />
Mitte der Neunzigerjahre nahe –, obwohl einiges dafür<br />
spricht, dass die NAIRU in den Vereinigten Staaten inzwischen<br />
gesunken ist. Aus diesen Gründen wurde die<br />
Inflationsrate in den Vereinigten Staaten für den Zeitraum<br />
der Neunzigerjahre häufig zu hoch prognostiziert.<br />
238. Schätzt man die Inflation unter Einbeziehung<br />
von Angebotsschocks und modelliert eine Zeitvariante<br />
inflationsstabile Arbeitslosenquote, so gelangt man zu<br />
folgenden Ergebnissen:<br />
– Es besteht wie bisher eine negative Beziehung zwischen<br />
aktueller Inflation und der Arbeitslosenquote.<br />
– Angebotsschocks hatten im betrachteten Zeitraum<br />
einen signifikanten Effekt auf die Inflation. Die<br />
kräftige Aufwertung des US-Dollar und reale Preissenkungen<br />
bei den Importen dämpften die Inflation<br />
in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre. Eine<br />
Rolle spielten daneben relativ niedrige Zuwachsraten<br />
der Lohnnebenkosten zwischen den Jahren<br />
1994 und 1999. Einen preisniveaudämpfenden Effekt<br />
hatte auch der ständig intensivere globale Wettbewerb<br />
auf den Gütermärkten, der durch die neuen<br />
Technologien noch verschärft wurde.<br />
– Eine Veränderung des Erwerbspersonenpotentials<br />
und neue Formen der Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt<br />
dürften die NAIRU auf 4 vH bis knapp 5 vH<br />
zum Ende der Neunzigerjahre reduziert haben.<br />
Das Altern der Baby-Boom-Generation hatte <strong>zur</strong><br />
Folge, dass der Anteil jüngerer Arbeitskräfte am Erwerbspersonenpotential<br />
abnahm. Zwar sind ältere<br />
Personen in der Regel während eines längeren Zeitraums<br />
arbeitslos als jüngere. Andererseits ist die Altersgruppe<br />
der jüngeren Beschäftigten besonders<br />
anfällig für friktionelle Arbeitslosigkeit. Dieser Effekt<br />
dürfte überwiegen, so dass sich ceteris paribus<br />
durch den demographischen Wandel die inflationsstabile<br />
Arbeitslosenquote verringert haben dürfte –<br />
empirischen Schätzungen zufolge um 0,4 bis 0,7<br />
Prozentpunkte, wobei der Einfluss seit Ende der<br />
Achtzigerjahre abnimmt.<br />
In die gleiche Richtung wirkt die starke Zunahme der Anzahl<br />
der Gefängnisinsassen in den Neunzigerjahren. Studien<br />
zufolge war die Mehrheit der Gefängnisinsassen vor<br />
ihrem Arrest arbeitslos. Dieser Effekt senkt die NAIRU<br />
schätzungsweise um knapp 0,2 Prozentpunkte.<br />
Ein weiterer Faktor dürfte das höhere Bildungsund<br />
Ausbildungsniveau beim Erwerbspersonenpotential<br />
sein: So hatten 57 vH der Beschäftigten im<br />
Jahre 1998 einen College-Abschluss, im Vergleich<br />
zu einem Drittel Mitte der Siebzigerjahre. Erwiesenermaßen<br />
sinkt die Arbeitslosigkeit von Personen<br />
mit der Höhe ihres Ausbildungsniveaus, gemessen<br />
an der Länge ihrer Ausbildungszeit. Abgesehen davon<br />
stehen die in Ausbildung befindlichen Personen<br />
dem Arbeitsmarkt nicht <strong>zur</strong> Verfügung, und auch<br />
insofern verringert sich die inflationsstabile Arbeitslosenquote.<br />
In die gleiche Richtung wirkt eine höhere Flexibilität<br />
auf dem Arbeitsmarkt. Einen Beitrag hierzu<br />
dürfte die Ausweitung der Zeitarbeit geleistet haben:<br />
Der Anteil der Beschäftigten in diesem Bereich<br />
an den Gesamtbeschäftigten erhöhte sich von<br />
knapp 0,5 vH zu Beginn der Achtzigerjahre auf gut<br />
2,3 vH im Jahre 1999. Der Anteil des Zeitarbeitsbereichs<br />
an der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungszunahme<br />
(ohne Landwirtschaft) betrug 8,2 vH<br />
zwischen den Jahren 1992 und 1998, im Vergleich<br />
zu 4,1 vH im Zeitraum 1983 bis 1989. Zeitarbeitsfirmen<br />
haben insofern die NAIRU reduziert, als sie<br />
nicht nur Personen, die lediglich zeitweise arbeiten<br />
wollten, dies ermöglicht haben, sondern darüber hinaus<br />
für Arbeitskräfte, die eine dauerhafte Beschäftigung<br />
suchten, den Markteintritt erleichterten. Im<br />
Jahre 1997 hätten 60 vH aller Zeitarbeitskräfte ein<br />
Dauerarbeitsverhältnis vorgezogen, ein Drittel suchte<br />
aktiv eine solche Tätigkeit. Dies deutet darauf<br />
hin, dass ein nicht unbedeutender Anteil von Zeitarbeitskräften<br />
ohne Zeitarbeitsvermittlung arbeitslos<br />
gewesen wäre.<br />
Schließlich dürfte die Entwicklung und Anwendung<br />
der neuen Technologien auf dem Arbeitsmarkt<br />
zu einer Verringerung der NAIRU geführt haben,<br />
indem sie Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage