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Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193 – Drucksache 14/4792<br />

Notenbanken sind bei diskretionärem Handlungsspielraum<br />

der Versuchung ausgesetzt, auf inhärent unsichere,<br />

prognostizierte Preisrisiken erst dann zu reagieren,<br />

wenn sie sich genügend verdichtet haben.<br />

Aufgrund der erwähnten langen Wirkungsverzögerungen<br />

zinspolitischer Impulse von mehreren Jahren läuft<br />

die Geldpolitik Gefahr, notwendige Maßnahmen verspätet<br />

zu ergreifen. Der Europäischen Zentralbank<br />

wird es durch die Veröffentlichung der Inflationsprognose<br />

erleichtert, dieser Versuchung zu widerstehen;<br />

per Saldo wird es einfacher, eine präventive Geldpolitik<br />

zu betreiben und bei sich abzeichnenden Preisrisiken<br />

frühzeitig gegenzusteuern.<br />

Natürlich wird sich der durch die Europäische<br />

Währungsunion möglicherweise verursachte Strukturbruch<br />

auch in vermehrten Unsicherheiten über die zu<br />

erwartenden Preisniveausteigerungen niederschlagen.<br />

Aber die konventionellen Prognosemodelle stützen<br />

sich in der Praxis nicht auf die in den Geldmengenaggregaten<br />

enthaltenen Informationen. Zudem spielen,<br />

soweit es sich um eine bedingte Prognose handelt, auch<br />

die Unsicherheiten bezüglich des geldpolitischen<br />

Transmissionsmechanismus nur eine untergeordnete<br />

Rolle. Die Inflationsprognose ist damit von den Unsicherheiten<br />

im Übergang <strong>zur</strong> Europäischen Währungsunion<br />

weniger betroffen. Außerdem: Für den Erfolg der<br />

Inflationsprognose als Kommunikationsmittel und Instrument<br />

der Selbstdisziplinierung, auch unter den derzeitigen<br />

Rahmenbedingungen, ist die Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

nicht das entscheidende Kriterium.<br />

Entscheidend ist, wie gut die Europäische Zentralbank<br />

in der Lage ist, ihr Handeln bei einer Abweichung der<br />

Inflationsprognose vom Zielkorridor zu erklären. Die<br />

Flexibilität der Zwei-Säulen-Strategie wird hierdurch<br />

zwar eingeschränkt, aber genau das ist die Essenz von<br />

Regelbindung und Rechenschaftslegung.<br />

Die Anforderungen an die Kommunikationspolitik der<br />

Europäischen Zentralbank werden durch die Veröffentlichung<br />

einer Inflationsprognose noch größer, als sie es<br />

jetzt schon sind. Der Öffentlichkeit und den Marktteilnehmern<br />

muss erklärt werden, welche Annahmen der<br />

Prognose zugrunde liegen und weshalb bei unerwarteten<br />

exogenen Preisschocks, zum Beispiel als Folge<br />

deutlicher Änderungen des Wechselkurses des Euro<br />

oder der Rohölnotierungen, die ursprüngliche Prognose<br />

hinfällig geworden und durch eine neue zu ersetzen<br />

ist. Hier lauern Gefahren, missverstanden und<br />

missinterpretiert zu werden. Umso wichtiger wird es<br />

sein, dass Präsentation und Kommentierung der Inflationsprognose<br />

von allen Mitgliedern des EZB-Rates in<br />

gleicher Weise klar und nachvollziehbar vorgenommen<br />

werden.<br />

342. Im Rahmen der Zwei-Säulen-Strategie sollte die<br />

Geldmenge weiterhin ein vorrangiger Indikator für die<br />

Geldpolitik sein: Es gibt keine empirischen Hinweise,<br />

dass sich der Trend der Inflationsentwicklung unabhängig<br />

vom Trend des Geldmengenwachstums entwickeln<br />

könnte. Es ist ein Gebot der Vorsicht, die Expansionsrate<br />

der Geldmenge M3 im Kontakt zum Referenzwert<br />

zu halten. Bei der Quantifizierung des Referenzwertes<br />

für das Jahr 20<strong>01</strong> gehen wir hinsichtlich<br />

der zentralen Orientierungsgröße – des Wachstums des<br />

Produktionspotentials im Euro-Raum – davon aus,<br />

dass die Informations- und Kommunikationstechnologien<br />

der Neuen Ökonomie noch nicht eine spürbare Beschleunigung<br />

der wirtschaftlichen Aktivität freisetzen.<br />

Ebenso wenig dürfte sich der rückläufige Trend der<br />

Umlaufsgeschwindigkeit der Geldmenge M3 alsbald<br />

umkehren. Wir schlagen deshalb vor, den Referenzwert<br />

für das Wachstum der Geldmenge M3 auf 5 vH festzulegen;<br />

der monetäre Mantel für ein kräftiges reales<br />

Wachstum wäre dann ausreichend bemessen.<br />

343. Neue Herausforderungen für die Geldpolitik<br />

stellt der anhaltend rasante Anstieg von Vermögenswerten<br />

dar. Angesichts der starken Kurssteigerungen<br />

an den europäischen Börsen in den letzten Jahren, ist<br />

die Frage aufgekommen, ob und inwieweit die Notenbank<br />

die Entwicklung von Vermögenspreisen in ihre<br />

geldpolitische Konzeption einbeziehen solle. In der<br />

praktischen Umsetzung einer um Vermögenseffekte<br />

erweiterten geldpolitischen Konzeption gäbe es große<br />

Probleme. So müssten streng genommen alle Vermögenswerte<br />

der Wirtschaftssubjekte und deren Wertentwicklung<br />

berücksichtigt werden, auf jeden Fall die Immobilienpreise,<br />

deren Entwicklung besonders auf das<br />

Preisniveau durchschlägt; für eine gründliche Erfassung<br />

reicht aber die Datenlage nicht. Beschränkte man sich<br />

deshalb auf Aktien, wäre zu jedem Zeitpunkt eine realwirtschaftlich<br />

fundierte Bewertung dieser Anlagen erforderlich,<br />

damit geldpolitisch keine Fehler gemacht werden;<br />

dies ist mit vielen Unsicherheiten behaftet (Ziffern<br />

54 ff.). Und selbst wenn die Notenbank sich zutraute, ein<br />

im Vergleich zu den anderen Marktteilnehmern sichereres<br />

Urteil über die Angemessenheit eines beobachteten<br />

Kurs-Gewinn-Verhältnisses zu haben, würden ihr die vor<br />

allem auf Aktienmärkten typischen Kursschwankungen<br />

die erwünschte Stetigkeit in der Geldpolitik vereiteln. Zu<br />

bedenken ist ferner, dass die Kursentwicklung an den<br />

Börsen unter anderem durch die Erwartungen der Marktteilnehmer<br />

über die künftige Zinspolitik geprägt wird;<br />

daraus entsteht eine Zirkularität, die unerwünscht ist,<br />

weil für die Erwartungsbildung der klare Anker fehlt.<br />

Beim jetzigen Stand der Kenntnis und der alles in allem<br />

nicht eindeutigen Zusammenhänge können wir der Europäischen<br />

Zentralbank nicht dazu raten, sich ein Vermögenspreisziel<br />

zu setzen.<br />

344. Eine sich anschließende Frage ist, wie die Europäische<br />

Zentralbank mögliche Übersteigerungen an<br />

den Finanzmärkten in ihre geldpolitischen Überlegungen<br />

einbeziehen soll. Kurzfristige Volatilitäten sind für<br />

die Geldpolitik unerheblich. Anders ist die Situation,<br />

wenn sich Aktienkurse (wie übrigens auch Immobilienpreise)<br />

über längere Zeit von den fundamentalen Daten<br />

der betreffenden Vermögensgegenstände entfernen.<br />

In diesem Umfeld besteht das Risiko, dass spekulative<br />

Blasen entstehen, die, wenn sie platzen, realwirtschaftliche<br />

Fehlentwicklungen auslösen können. Auch

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