19.06.2014 Aufrufe

Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Drucksache 14/4792 – 174 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode<br />

VIERTES KAPITEL<br />

Grundlinien der Wirtschaftspolitik<br />

I. Verbesserte Ausgangsbedingungen –<br />

fortdauernde Zielverfehlung<br />

am Arbeitsmarkt<br />

311. Die gesamtwirtschaftliche Lage in Deutschland<br />

ist deutlich besser als in den vergangenen Jahren. Die<br />

Entwicklung der Produktion ist aufwärtsgerichtet und<br />

wird außer durch den Export nunmehr auch von innen,<br />

namentlich von der Investitionstätigkeit, gestärkt; die<br />

Arbeitslosigkeit ist gesunken bei zugleich steigender<br />

Erwerbstätigkeit; Preisniveauanhebungen sind trotz<br />

der drastischen Verteuerung des Erdöls und der starken<br />

Abwertung des Euro verhältnismäßig moderat geblieben;<br />

das Leistungsbilanzdefizit ist zwar größer geworden,<br />

bietet aber keinen Anlass <strong>zur</strong> Sorge. Die konjunkturelle<br />

Expansion kann sich nach unserer Auffassung<br />

im kommenden Jahr fortsetzen, die dämpfenden Effekte,<br />

die von hohen Ölpreisen ausgehen, dürften begrenzt<br />

bleiben.<br />

Für eine anhaltende Aufwärtsentwicklung ist wichtig,<br />

dass der Staat und die Tarifvertragsparteien sowie die<br />

Notenbank durch ihr Handeln den Marktteilnehmern<br />

Zukunftsvertrauen geben. In diesem Jahr ist das mehr<br />

als sonst in der jüngeren Vergangenheit üblich geschehen.<br />

Neben der stabilitätsorientierten Geldpolitik der<br />

Europäischen Zentralbank sind hier die Beiträge der<br />

Finanzpolitik und der Lohnpolitik bemerkenswert: die<br />

der Finanzpolitik insoweit, als die Herausforderung angenommen<br />

wurde, durch eine zielstrebig betriebene<br />

Haushaltskonsolidierung und weitreichende Steuersenkungen<br />

mittelfristig die Rahmenbedingungen für<br />

mehr Wachstum und Beschäftigung zu verbessern; die<br />

der Lohnpolitik insoweit, als moderate Tarifabschlüsse<br />

in der Breite bei längeren als den üblichen Laufzeiten<br />

die Perspektiven darüber aufgehellt haben, was künftig<br />

von der Kostenseite her an zusätzlicher Produktion und<br />

Beschäftigung lohnend ist.<br />

312. Trotz der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung<br />

besteht kein Grund <strong>zur</strong> Selbstzufriedenheit. Im Ganzen<br />

sind die konjunkturellen Auftriebskräfte auch gar nicht<br />

so stark, um Deutschland innerhalb des Euro-Raums<br />

als die Lokomotive wirken zu lassen, die es nach Auffassung<br />

vieler sein sollte; das Tempo des konjunkturellen<br />

Aufschwungs hierzulande ist unterdurchschnittlich,<br />

übrigens auch im weltwirtschaftlichen Vergleich. Und<br />

noch ist die deutsche Wirtschaft nicht auf einen merklich<br />

höheren Wachstumspfad eingeschwenkt. Dies ist<br />

aber wünschenswert, damit die Nachfrageexpansion<br />

nicht frühzeitig an Kapazitätsgrenzen stößt und gute<br />

Chancen für einen langen Aufschwung ohne inflationäre<br />

Verspannungen entstehen. Die oft beschworene<br />

Zukunftsfähigkeit Deutschlands ist nicht dadurch gesichert,<br />

dass die Wirtschaft gegenwärtig Exporterfolge<br />

vermeldet, die Investitionen steigen, die Produktion<br />

zunimmt und die Arbeitslosenquote sinkt. Dies beseitigt<br />

nicht automatisch die strukturellen Schwächen, die<br />

die deutsche Volkswirtschaft seit Jahren belasten und<br />

den Sachverständigenrat immer wieder veranlasst haben,<br />

auf grundlegende Reformen in zentralen Politikbereichen<br />

zu drängen. Solange Erstarrungen auf etlichen<br />

Märkten und in Institutionen fortbestehen, kann<br />

nicht genügend privatwirtschaftliche Dynamik aufkommen,<br />

die nachhaltig ist. Nachhaltigkeit in der gesamtwirtschaftlichen<br />

Entwicklung wird aber gebraucht,<br />

damit in Deutschland die Menschen ihre<br />

Erwerbsinteressen verwirklichen können und ihre Vorstellungen<br />

in Bezug auf eine solide soziale Sicherung,<br />

ein gutes Bildungssystem und eine Umweltqualität auf<br />

hohem Niveau realisiert sehen.<br />

313. Die konjunkturelle Aufwärtsbewegung hat das<br />

Land bei der Bewältigung der Probleme auf dem Arbeitsmarkt<br />

nicht entscheidend vorangebracht. Die Arbeitslosigkeit,<br />

die registrierte und die verdeckte, ist immer<br />

noch sehr hoch, und zwar in beiden Teilen des<br />

Landes. Zwar läuft die Konjunktur am Arbeitsmarkt<br />

nicht vorbei, aber die Verwerfungen, die sich über viele<br />

Jahre aufgebaut haben, erlauben keinen raschen Abbau<br />

der Arbeitslosigkeit. Entlastend wirkt, dass mehr Menschen<br />

aus Altersgründen aus dem Erwerbsprozess ausscheiden<br />

als junge Menschen eintreten. Die Hoffnung<br />

aber, dass allein die demographische Entwicklung eine<br />

dauerhafte Entlastung des Arbeitsmarkts von der Angebotsseite<br />

her bringen könnte, dürfte sich als trügerisch<br />

erweisen, wenn, wie zu vermuten ist, mittelfristig<br />

die Erwerbstätigkeit der Frauen zunimmt, das Renteneintrittsalter<br />

ansteigt, Personen, die einst <strong>zur</strong> stillen<br />

Reserve zählten, einen Arbeitsplatz suchen und zudem<br />

Arbeitskräfte aus dem Ausland zuwandern.<br />

Umso wichtiger ist es, den Beschäftigungsaufbau so<br />

kräftig zu beschleunigen, dass ausreichend viele Arbeitsuchende<br />

eine faire Erwerbschance erhalten. In<br />

diesem Jahr ist die Beschäftigung deutlich angestiegen,<br />

aber diese Entwicklung reflektiert zu einem großen<br />

Teil einen statistischen Vorgang als Folge der Revision<br />

der Erwerbstätigenstatistik mit der nunmehr besseren<br />

Erfassung der ausschließlich geringfügig Beschäftigten<br />

(Ziffern 130 ff.); diese Personen waren auch vorher<br />

beschäftigt, in welchem Umfang jedoch, das wurde unterschiedlich<br />

eingeschätzt (JG 97 Ziffer 378). In dem<br />

Maße, in dem die Zunahme der Beschäftigung eine<br />

verbesserte statistische Erfassung widerspiegelt, kann<br />

sie nicht als wirtschaftspolitischer Erfolg verbucht<br />

werden. Was als zusätzliche Schaffung von Arbeitsplätzen<br />

gelten kann, ist noch nicht die Wende hin zu einer<br />

anhaltenden Beschäftigungsdynamik, wie sie andere<br />

Länder verzeichnen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!