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Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 215 – Drucksache 14/4792<br />

junkturelle Aufschwung fortsetzt. Von daher stehen die<br />

Tarifvertragsparteien in der nächsten Tarifrunde vor einer<br />

großen Aufgabe.<br />

415. In Ostdeutschland ist es der Tarifpolitik in diesem<br />

Jahr nicht gelungen, einen Beitrag zu einer besseren Beschäftigungslage<br />

zu leisten. Zu dominant herrscht die<br />

Meinung vor, für gleichartige Arbeit bestünde ein Anspruch<br />

auf den gleichen Lohn, unabhängig davon, ob<br />

die Arbeitskräfte nachgefragt werden oder nicht, ob sich<br />

also das Arbeitseinkommen auf dem Markt erwirtschaften<br />

lässt. Tätigkeiten, die auf den ersten Blick als<br />

gleichartig erscheinen, sind wirtschaftlich nicht notwendigerweise<br />

gleich, und zwar dann nicht, wenn für<br />

das durch die gleiche Tätigkeit erstellte Gut – auch eine<br />

Dienstleistung – beispielsweise an verschiedenen Orten<br />

unterschiedliche Preise erzielt werden. Dann ist wirtschaftlich<br />

auch die Produktivität unterschiedlich. Zwischen<br />

Ost und West klafft weiterhin eine beachtliche<br />

Produktivitätslücke: Die Arbeitsproduktivität pro Erwerbstätigen<br />

im Osten Deutschlands einschließlich<br />

Berlin lag im Jahre 1999 bei 71 vH des westdeutschen<br />

Niveaus, die Lohnstückkosten (ebenfalls einschließlich<br />

Berlin) sind immer noch 12 vH höher als im Westen;<br />

seit 1997 haben die Lohnstückkosten relativ zum Westen<br />

sogar wieder leicht zugenommen.<br />

Angemessene Lohndifferenzierung – eine ständige<br />

Aufgabe<br />

416. Gesamtwirtschaftlich Raum für mehr Beschäftigung<br />

zu schaffen, indem der Produktivitätszuwachs<br />

nicht vollständig für die Erhöhung der Einkommen,<br />

sondern auch für den Aufbau von Arbeitsplätzen eingesetzt<br />

werden kann, ist nur die eine Aufgabe der Tarifpolitik.<br />

Eine andere lautet, bei der Lohnfindung die<br />

unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Betrieben,<br />

den verschiedenen Branchen und in den unterschiedlichen<br />

Regionen, aber auch bei den Arbeitnehmern<br />

in ihrer Vielfalt zu berücksichtigen. Das ist die<br />

Frage der Lohndifferenzierung (JG 99 Ziffer 341). Vor<br />

allem geht es dabei darum, die Tarifstruktur so zu gestalten,<br />

dass sie die Unterschiede in den Qualifikationsprofilen<br />

der Arbeitnehmer und in den Anforderungsprofilen<br />

seitens der Unternehmen zum Ausgleich<br />

bringen kann (qualifikatorische Lohnstruktur).<br />

417. Empirische Untersuchungen kommen zu dem<br />

Ergebnis, dass die Lohnstruktur, das heißt die relativen<br />

Abstände der Entgeltgruppen, in den letzten zwei Jahrzehnten<br />

in Deutschland im Wesentlichen konstant geblieben<br />

ist und in Bezug auf die Qualifikationen sogar<br />

gestaucht wurde. Dies ergibt sich beispielsweise anhand<br />

von Daten des Sozio-oekonomischen Panels<br />

(JG 99 Kasten 5). Neuere Untersuchungen bestätigen<br />

diese Ergebnisse. Auch Daten für einzelne Branchen<br />

und Tarifgebiete zeigen, dass die tarifliche Struktur der<br />

Entgeltgruppen über die Zeit weitgehend unverändert<br />

geblieben ist (Ziffern 144 ff.).<br />

Die Konstanz einer Lohnstruktur stellt für sich allein<br />

betrachtet zunächst noch kein Problem dar. Zu einem<br />

Problem kann sie jedoch werden, wenn sie auf einen<br />

beachtlichen strukturellen Wandel in der Volkswirtschaft<br />

trifft, bei dem sich die Beschäftigung von Arbeitskräften<br />

nennenswert verschiebt, und zwar zu Ungunsten<br />

der weniger Qualifizierten. Empirisch<br />

unbestritten ist, dass sich in Deutschland wie im Übrigen<br />

in allen Industrieländern derzeit am Arbeitsmarkt<br />

ein erheblicher struktureller Wandel vollzieht, bei dem<br />

insgesamt die Beschäftigung von Arbeitnehmern mit<br />

niedriger Qualifikation <strong>zur</strong>ückgeht und die Beschäftigung<br />

von Personen mit höherer Qualifikation steigt<br />

(Tabelle 57, Seite 216). Bei einer disaggregierten Analyse<br />

für einzelne Branchen und Tarifgebiete zeigt sich,<br />

dass bei den unteren Entgeltgruppen die Besetzungsstärke<br />

abgenommen hat. Bei dieser Beschreibung der<br />

mengenmäßigen Verlagerungen am Arbeitsmarkt<br />

kommt hinzu, dass die Arbeitslosigkeit der weniger<br />

Qualifizierten stark angestiegen ist; fast ein Viertel<br />

aller Erwerbspersonen ohne Ausbildung ist im Westen<br />

arbeitslos, im Osten ist es mehr als die Hälfte.<br />

418. Nach einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt-<br />

und Berufsforschung nahm in den Jahren zwischen<br />

1991 und 1998 in Deutschland insgesamt die Beschäftigung<br />

nur für die Gruppe der Hoch- und Fachhochschulabsolventen<br />

zu, und zwar um fast 1,3 Millionen. Die Arbeitslosigkeit<br />

in dieser Gruppe blieb unverändert. Der Arbeitsmarkt war in<br />

der Lage, das um 30 vH gestiegene Angebot an akademischen<br />

Erwerbspersonen aufzunehmen. Demgegenüber ging bei allen<br />

anderen Qualifikationsgruppen die Nachfrage nach Arbeitskräften<br />

deutlich <strong>zur</strong>ück, so bei der Gruppe mit einem<br />

Lehr- und Fachschulabschluss um 1,6 Millionen und bei der<br />

Gruppe ohne Berufsabschluss um 1,2 Millionen. Daher nahm<br />

für diese Gruppen die Arbeitslosigkeit zu.<br />

419. Betrachtet man diese mengenmäßigen Veränderungen<br />

am Arbeitsmarkt, so würde man, wenn sich ein<br />

Gleichgewicht bei hoher Beschäftigung einstellen und<br />

sich die Arbeitslosigkeit <strong>zur</strong>ückbilden soll, erwarten,<br />

dass sich die Lohnstruktur an diese Veränderungen<br />

anpasst. Die Lohnstruktur ist zwar nicht die einzige,<br />

aber doch eine wesentliche Determinante in diesem<br />

Prozess. Flexible Lohnrelationen würden es erlauben,<br />

im Rahmen der strukturellen Veränderungen mehr<br />

Arbeitsplätze zu haben, weil die sich verändernden Anforderungsprofile<br />

seitens der Unternehmen und die<br />

Qualifikationsprofile der Arbeitnehmer eher zusammenfinden,<br />

ein Ausgleich am Arbeitsmarkt also besser<br />

zustande kommt.<br />

Eine Lohndifferenzierung ist vor allem deshalb notwendig,<br />

weil im Rahmen des Strukturwandels das bestehende<br />

Humankapital in vielen Fällen zunächst<br />

einmal den Qualifikationsanforderungen der neuen<br />

Arbeitsplätze nicht entspricht, also zumindest teilweise<br />

obsolet wird. Wenn eine Umqualifizierung zügig gelingt,<br />

braucht man weniger Lohndifferenzierung. Wenn<br />

jedoch eine Umqualifizierung bei obsolet gewordenem

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