Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 185 – Drucksache 14/4792<br />
Arbeitsvertrags nicht geben. Die wirtschaftliche Aktivität<br />
der Neuen Ökonomie braucht, um sich zu entfalten<br />
und Arbeitsplätze zu schaffen, solche Vorkehrungen<br />
nicht; diese werden eher als Bremsklötze<br />
wahrgenommen und daher ignoriert, so wie auch in<br />
traditionellen Wirtschaftsbereichen kollektive Vereinbarungen<br />
der Tarifvertragsparteien, die als zu starr<br />
und über die schutzwürdigen Interessen der Arbeitnehmer<br />
hinausgehend empfunden werden, eine Einladung<br />
für Arbeitgeber und Arbeitnehmer darstellen,<br />
in die Schattenwirtschaft auszuweichen oder contra<br />
legem andere bilaterale Abmachungen zu treffen.<br />
Wenn ein Deregulierungsbedarf am Arbeitsmarkt<br />
von den Betroffenen so offenkundig gemacht wird,<br />
sollte kluge Wirtschaftspolitik darauf eingehen und<br />
positiv gestaltend agieren. Die Pläne des Bundesministers<br />
für Arbeit und Sozialordnung, das Ende<br />
des Jahres auslaufende Beschäftigungsförderungsgesetz<br />
zu verlängern und damit zeitlich befristete<br />
Beschäftigungsverhältnisse zu ermöglichen, würden<br />
prinzipiell in die richtige Richtung zielen, wenn<br />
die Bedingungen, unter denen auf diese Beschäftigungsverhältnisse<br />
<strong>zur</strong>ückgegriffen werden darf, gegenüber<br />
den gegenwärtigen Regelungen nicht<br />
eingeengt werden; darauf aber drängen die Gewerkschaften<br />
mit dem Argument, Missbrauch zu<br />
verhindern. Dass mit diesem Gesetzesvorhaben<br />
nunmehr für alle Beschäftigten ein grundsätzlicher<br />
Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit geschaffen werden<br />
soll, mag von der gut gemeinten Absicht geleitet<br />
sein, die Unternehmen zu veranlassen, die<br />
Möglichkeiten einer solchen Beschäftigung mit<br />
größerem Elan zu betreiben, als es bislang der Fall<br />
gewesen sei. Aber diese Regelung hat ihre Tücken:<br />
Sie kann zu arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen<br />
führen und den inneren Betriebsfrieden stören,<br />
außerdem künftige Einstellungschancen belasten.<br />
Daher sollte noch einmal überlegt werden, ob eine<br />
Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung nicht auf andere<br />
Weise erreicht werden kann, auf freiwilliger<br />
Basis und im Konsens zwischen den Tarifvertragsparteien;<br />
ein Interesse daran sollte angesichts des<br />
Flexibilitätsbedarfs der Arbeitgeber und der sich<br />
bezüglich der Arbeitszeiten wandelnden Präferenzen<br />
der Arbeitnehmer eigentlich gegeben sein.<br />
Nicht überzeugend vor dem Hintergrund der sich<br />
wandelnden Arbeitswelt sind Pläne über die Novellierung<br />
des Betriebsverfassungsgesetzes mit dem<br />
Ziel, das System der Mitbestimmung zu erweitern.<br />
Unter anderem ist daran gedacht, die Mitwirkungsund<br />
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats substantiell<br />
zu verändern, sie über die Angelegenheiten<br />
der Stammbelegschaft eines Unternehmens hinaus<br />
auszuweiten (zum Beispiel auf gewerblich überlassene<br />
Arbeitnehmer und mit Telearbeit Beschäftigte)<br />
und sie auf neue Gegenstände auszudehnen (zum<br />
Beispiel den Umweltschutz im Betrieb); außerdem<br />
soll die Bildung von Betriebsräten in Kleinbetrieben<br />
forciert werden. So wichtig die Institution von<br />
Betriebsräten ist, so sehr befürchten wir, dass diese<br />
Pläne die Dispositionsfreiheit der Unternehmen<br />
unnötig einschränken. Zudem können sie über die<br />
Aufblähung von Gremien zusätzliche Kosten verursachen.<br />
Der Sachverständigenrat kann nicht erkennen,<br />
dass sich eine größere Regulierungsdichte<br />
und eine zunehmende Verrechtlichung der Arbeitsabläufe<br />
und der Arbeitsorganisation unter den Bedingungen<br />
der Neuen Ökonomie wachstums- und<br />
beschäftigungspolitisch auszahlen. Wir sorgen uns<br />
aber um die negative Signalwirkung im Inland und<br />
insbesondere im Ausland: Dass nämlich Deutschland,<br />
allen amtlichen Bekundungen über die Hinwendung<br />
zu einer modernen, zukunftweisenden<br />
Wirtschaftspolitik zum Trotz, für durchgreifende<br />
Reformen am Arbeitsmarkt immer noch nicht die<br />
nötige Kraft aufzubringen vermag. Und wir fürchten,<br />
der deutschen Volkswirtschaft werde es unnötig<br />
schwer gemacht, im internationalen Standortwettbewerb<br />
ihre Chancen zu wahren und im Wettlauf<br />
um die ertragreichen Verwertungen von Wissen<br />
rasch aufzuschließen.<br />
Kurzum: Eine auf Marktöffnung und freien Wettbewerb<br />
gerichtete Wirtschaftspolitik, und nur sie, ist die<br />
angemessene, Erfolg versprechende Antwort auf die<br />
großen Herausforderungen im Zeitalter der Wissensund<br />
Informationsgesellschaft. Defensivstrategien hingegen<br />
sind rückwärtsgewandt und führen in der vernetzten<br />
Welt in die Sackgasse.<br />
330. Ein Bereich, den die Neue Ökonomie nicht unberührt<br />
lassen wird, ist das Bildungswesen. Mit den zu<br />
erwartenden Veränderungen in Unternehmensstruktur<br />
und Arbeitsorganisation werden die beruflichen Anforderungen<br />
an die Erwerbstätigen neu und anders definiert.<br />
Wissen und Können der Menschen bei der Auswertung<br />
und Verarbeitung eines enormen und unentwegt<br />
steigenden Informationsangebots entscheiden mit über<br />
künftige Einkommens- und Beschäftigungschancen.<br />
Das Bildungssystem muss die Voraussetzung dafür<br />
schaffen, dass sich Wissen und Kompetenzen dieser Art<br />
möglichst rasch artikulieren und dass möglichst viele<br />
Bürger in der Lage sind, sich der Nutzungsmöglichkeiten<br />
neuer Informations- und Kommunikationstechnologien<br />
erfolgreich zu bedienen; aus ökonomischen (und<br />
politischen) Gründen wäre es eine gravierende Fehlentwicklung,<br />
wenn in der Gesellschaft eine „digitale Ungleichheit“<br />
einträte, bei der ein Teil der Erwerbstätigen<br />
ohne eigenes Verschulden zu Internet-Nichtnutzern ausgegrenzt<br />
und damit zu den Verlierern dieses Prozesses<br />
würde. Vermittelt werden müssen eine gute Allgemeinbildung<br />
(bereits in den Schulen), die Fähigkeit für prozessorientiertes,<br />
dezentrales Arbeiten (schon in der<br />
dualen Berufsausbildung) und überfachliche Qualifikationen<br />
einschließlich der Mehrfachkompetenzen, die<br />
auf verschiedenen, aber verwandten Wissensbereichen<br />
gründen (vor allem an den Hochschulen); die Weiterbildung<br />
im Berufsleben, das lebenslange Lernen, wird<br />
noch wichtiger sein als in der Vergangenheit.<br />
In Deutschland ist das Bildungssystem hierfür nicht so<br />
gerüstet, wie es wünschenswert wäre. In der schulischen<br />
Ausbildung wird nicht genügend darauf geachtet,<br />
dass junge Leute in einem angemessenen Umfang