Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 1 – Drucksache 14/4792<br />
ERSTES KAPITEL<br />
Chancen auf einen höheren Wachstumspfad<br />
1. Die konjunkturelle Lage der deutschen Wirtschaft<br />
ist gut. Das Bruttoinlandsprodukt nahm im laufenden<br />
Jahr um 3,0 vH zu, im kommenden Jahr ist mit einer<br />
Produktionsausweitung um 2,8 vH zu rechnen. Die Politik<br />
hat begonnen, den wachstumshemmenden Reformstau<br />
aufzulösen. Im Bereich der öffentlichen Finanzen<br />
entlastet die im Sommer verabschiedete<br />
Steuerreform die Bürger und Unternehmen merklich,<br />
und die im letzten Jahr begonnene Konsolidierungspolitik<br />
wurde fortgesetzt. Die Lohnpolitik war moderat<br />
und hat durch längerfristige Tarifabschlüsse <strong>zur</strong> unternehmerischen<br />
Planungssicherheit beigetragen. Im Bereich<br />
der Alterssicherung wurde endlich der Aufbau eines<br />
mischfinanzierten Systems eingeleitet. Bei der<br />
Lösung des derzeit dringlichsten Problems, der hohen<br />
strukturellen Arbeitslosigkeit, konnten allerdings kaum<br />
Fortschritte verzeichnet werden; bei dem institutionellen<br />
Regelwerk des Arbeitsmarkts besteht nach wie vor<br />
Reformbedarf.<br />
Derzeit steht die Wirtschaftspolitik auch vor einer<br />
neuen Herausforderung, die gleichzeitig die Aussicht<br />
auf einen langfristig höheren Wachstumspfad eröffnet.<br />
In den Industrieländern lässt sich ein tief greifender<br />
wirtschaftlicher und technischer Wandel beobachten,<br />
der zwar schon vor einiger Zeit einsetzte, aber erst<br />
jüngst begann, gesamtwirtschaftliche Auswirkungen<br />
zu zeigen. Diese mit dem Begriff Neue Ökonomie belegte<br />
Entwicklung spiegelt sich nicht nur in der unterschiedlichen<br />
Dynamik „alter“ und „neuer“ Wirtschaftssektoren,<br />
sondern in der ganzer Volkswirtschaften<br />
wider. Die außergewöhnliche Wirtschaftsentwicklung<br />
in den Vereinigten Staaten, die im zehnten Jahr ihrer<br />
längsten und bislang dennoch spannungsfreien Aufschwungsphase<br />
stehen, lässt auch die derzeit weniger<br />
dynamischen europäischen Volkswirtschaften auf einen<br />
besseren Wachstumstrend hoffen. Damit die Neue<br />
Ökonomie und der damit einhergehende Strukturwandel<br />
in Deutschland nicht behindert werden, muss die<br />
Wirtschaftspolitik ein innovationsfreundliches Umfeld<br />
schaffen, das der Dynamik dieses Bereichs genügend<br />
Raum <strong>zur</strong> freien Entfaltung gibt: Flexible<br />
Faktormärkte, freier Wettbewerb und klare Leistungsanreize<br />
bleiben unverzichtbar. Als besonders humankapital-intensiver<br />
Bereich stellt die Neue Ökonomie<br />
vor allem neue Anforderungen an Aus- und Weiterbildung<br />
und an die Anpassungsfähigkeit der Beschäftigten.<br />
Auch die Unternehmen werden gefordert sein, sich<br />
dem zunehmenden Innovationsdruck zu stellen.<br />
I. Solider Aufschwung<br />
2. Im Jahre <strong>2000</strong> hat sich der konjunkturelle Aufschwung<br />
gefestigt. Treibende Kraft war im Wesentlichen<br />
die Außenwirtschaft (Tabelle 1, Seite 2). Die Zunahme<br />
des Bruttoinlandsprodukts war jedoch auch in diesem<br />
Jahr schwächer als im Durchschnitt des Euro-Raums:<br />
Zusammen mit Italien bildete Deutschland weiterhin<br />
das konjunkturelle Schlusslicht. Für das kommende<br />
Jahr ist eine Fortsetzung des Konjunkturaufschwungs<br />
zu erwarten.<br />
– Bei den Privaten Konsumausgaben wurde die Zuwachsrate<br />
des Vorjahres nicht erreicht. Zwar ließen<br />
die verbesserte Lage auf dem Arbeitsmarkt und die<br />
Erhöhung des Kindergelds bei gleichzeitiger Senkung<br />
der Steuern und Sozialbeiträge die verfügbaren<br />
Einkommen deutlich ansteigen. Zugleich waren die<br />
Konsumenten wegen der Rohölpreiserhöhungen,<br />
die durch die zweite Stufe der ökologischen Steuerreform<br />
fühlbarer wurden, verunsichert. Der Kaufkraftentzug<br />
tat ein Übriges. Zum Anstieg des<br />
Bruttoinlandsprodukts trugen die Privaten Konsumausgaben<br />
mit 1,1 Prozentpunkten weniger bei als<br />
noch vor Jahresfrist.<br />
– Die Ausrüstungsinvestitionen hingegen entwickelten<br />
sich dynamisch. Die Ertragsaussichten hellten<br />
sich trotz der Belastung durch die Verteuerung importierter<br />
Vorleistungsgüter und anziehender Notenbankzinsen<br />
auf. Maßgeblich hierfür waren vor allem<br />
moderate Lohnerhöhungen und eine kräftige Auslandsnachfrage.<br />
Eine Rolle spielte sicherlich auch<br />
die Verabschiedung der Steuerreform, die zu steigendem<br />
Vertrauen der Investoren in die Reformfähigkeit<br />
der Politik und damit zu einer Stabilisierung<br />
der Erwartungen beigetragen hat. Die <strong>zur</strong><br />
Gegenfinanzierung vorgesehene Verlängerung der<br />
Abschreibungsfristen ab dem nächsten Jahr hat<br />
zudem dazu geführt, dass Unternehmen Investitionen<br />
in das laufende Jahr vorzogen. Den hohen<br />
Zuwachsraten bei den Ausrüstungsinvestitionen<br />
(9,0 vH) und den im Wesentlichen Software umfassenden<br />
Sonstigen Anlagen (10,3 vH) stand ein weiterer<br />
Rückgang der Bauinvestitionen um 2,4 vH<br />
gegenüber. Die Zuwachsrate der Anlageinvestitionen<br />
lag per Saldo nur bei 2,5 vH und damit unter<br />
ihrem Vorjahreswert.<br />
– Triebfeder des konjunkturellen Aufschwungs war<br />
die Auslandsnachfrage. Im Sog der dynamisch zunehmenden<br />
weltwirtschaftlichen Aktivität und eines<br />
rege wachsenden Welthandels hat sich die im<br />
vergangenen Jahr begonnene Erholung der deutschen<br />
Exporte gefestigt. Die Güterstruktur und<br />
die Regionalstruktur der deutschen Exporte haben<br />
dazu beigetragen, dass die Ausfuhr deutlich kräftiger<br />
expandierte als der Welthandel. Insbesondere<br />
die lebhafte Weltkonjunktur, maßgeblich getragen<br />
von den Vereinigten Staaten und den Ländern der