Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Drucksache 14/4792 – 154 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode<br />
schen Aufwendungen des Beitritts der mittel- und osteuropäischen<br />
Länder beträchtlich; die in der aktuellen<br />
Finanziellen Vorausschau des Europäischen Rates für<br />
strukturpolitische Maßnahmen vorgesehenen Mittel<br />
für die EU-Erweiterung belaufen sich im Jahre 2002<br />
auf 4,8 Mrd Euro, im Jahre 2006 steigt dieser Betrag<br />
auf 13,1 Mrd Euro. Ein Großteil der regionalpolitischen<br />
Mittel wird von den Beitrittsländern absorbiert<br />
werden, was zulasten der bisherigen Empfängerländer<br />
ginge. Damit sind politische Auseinandersetzungen<br />
vorgezeichnet, es sei denn, es käme vorher zu einer Reform<br />
der europäischen Regionalpolitik und der Strukturfonds.<br />
Auch hierzu hat der Sachverständigenrat bereits<br />
Vorschläge gemacht (JG 97 Ziffern 422 ff.).<br />
258. Eine große Hürde ist auch die Übernahme des<br />
Acquis Communautaire im Bereich Umwelt. Alle Beitrittskandidaten<br />
drängen auf Übergangsregelungen.<br />
Diese betreffen vor allem den Gewässerschutz, die<br />
Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung<br />
von Umweltverschmutzung (IVU-Richtlinie),<br />
die Abfallwirtschaft und den Naturschutz. Dem jüngsten<br />
Gutachten des Rats von Sachverständigen für Umweltfragen<br />
zufolge wird der Hauptteil der Umweltverschmutzung<br />
durch den Braunkohlebergbau, die<br />
Schwerindustrie und die Elektrizitätserzeugung verursacht.<br />
So werden in Polen beispielsweise rund 80 vH<br />
des Stroms durch die Verbrennung von Braunkohle und<br />
Steinkohle wenig umweltfreundlich erzeugt. Das Abfallvolumen<br />
in den Beitrittsländern hat in der Vergangenheit<br />
stark zugenommen, wobei Hausmüll und hausmüllähnlicher<br />
Abfall zum großen Teil auf Deponien<br />
gelagert wird, die meist nicht die EU-Standards erfüllen.<br />
Zudem ist diesem Gutachten zufolge die Entsorgung<br />
der industriellen Abfälle un<strong>zur</strong>eichend geregelt; in<br />
Polen beispielsweise werden nur 0,3 vH der industriellen<br />
Abfälle adäquat behandelt, die Masse wird auf nicht<br />
geeignete Mülldeponien verbracht; dies gilt auch für<br />
Sondermüll und für Klärschlämme. Die wirtschaftliche<br />
Expansion lässt für die nahe Zukunft ein weiteres Ansteigen<br />
des Müllvolumens und Engpässe im Bereich der<br />
Deponien erwarten; in allen Ländern mangelt es an Kapazitäten<br />
<strong>zur</strong> Abfallverbrennung sowie am Recycling.<br />
Ein besonderes Umweltrisiko stellt die illegale Entsorgung<br />
von Sondermüll dar, hierbei werden Stoffe freigesetzt,<br />
die die Gewässer verunreinigen. In allen Beitrittsländern<br />
bestehen erhebliche Probleme in Bezug auf die<br />
Qualität der Gewässer, so führen in Polen die Flüsse auf<br />
90 vH ihrer Länge Wasser minderer Qualität, das nach<br />
EU-Standards für landwirtschaftliche Bewässerung<br />
oder industrielle Zwecke nicht verwendet werden<br />
dürfte. Wesentliche Ursachen hierfür sind die ungenügende<br />
Abwasserreinigung sowie die durch die Landwirtschaft<br />
bedingte Verschmutzung der Gewässer.<br />
Der Stand der Umsetzung umweltrechtlicher Vorschriften<br />
ist nach Beurteilung der Europäischen Kommission<br />
in keinem der Beitrittsländer zufrieden stellend.<br />
Um das Niveau des Umweltschutzes an das der<br />
Europäischen Union anzunähern, sind umfangreiche<br />
Investitionen notwendig; für den Zeitraum von 15 Jahren<br />
müssen in den Beitrittsländern Schätzungen zufolge<br />
zwischen 2 vH und 3 vH des Bruttoinlandsprodukts<br />
in den Umweltschutz investiert werden. Wir<br />
sprechen uns für eine strikte Auslegung der umweltrechtlichen<br />
Bestimmungen aus.<br />
259. Als besonders kritisch in den Verhandlungen der<br />
Europäischen Union mit den Beitrittsländern erweist<br />
sich die Frage nach dem freien Personenverkehr. Derzeit<br />
werden die Staatsbürger der Beitrittsländer grundsätzlich<br />
noch wie Drittstaatenangehörige behandelt. In<br />
den Europa-Abkommen sind lediglich Erleichterungen<br />
für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis und für den Aufenthalt<br />
vorgesehen. Außerdem wird Unternehmen,<br />
Selbständige eingeschlossen, aus den Beitrittsländern<br />
das Recht zugestanden, sich in der Europäischen Union<br />
niederzulassen. Entsendet werden darf aber nur Schlüsselpersonal.<br />
Ferner sind keine verbindlichen Regelungen<br />
für grenzüberschreitende Dienstleistungen vorgesehen.<br />
Damit bleibt der formale Liberalisierungsgrad in<br />
den Bereichen, die die Wanderung von Personen<br />
einschließen, weit hinter dem in den Bereichen Handel<br />
und Kapitalverkehr <strong>zur</strong>ück. Als Problem gilt weniger<br />
die noch ausstehende Übernahme einzelner rechtlicher<br />
Regelungen des Acquis Communautaire, wie beispielsweise<br />
die gegenseitige Anerkennung von Qualifikationen,<br />
als vielmehr die Frage, ab wann die volle Personenfreizügigkeit<br />
in Kraft treten soll.<br />
260. Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen<br />
Regime zu Beginn der Neunzigerjahre war das Migrationsvolumen<br />
aus Osteuropa angestiegen. Zielland eines<br />
Großteils dieser Migranten war Deutschland; dies<br />
gilt insbesondere für die Auswanderer aus Polen. Darüber<br />
hinaus hält sich eine nicht unbeachtliche Anzahl<br />
von Personen zum Zwecke einer temporären Arbeitsaufnahme<br />
in der Europäischen Union auf. Schätzungen<br />
zufolge sind dies jedes Jahr zwischen 600 000 und<br />
700 000 „Arbeitstouristen“, die auf Basis eines Touristenvisums<br />
etwa ein Vierteljahr lang illegal einer<br />
Beschäftigung nachgehen. Ferner halten sich ständig<br />
etwa 300 000 Personen aus Osteuropa auf der Grundlage<br />
von befristeten Arbeitsverträgen in den Ländern<br />
der Europäischen Union auf. Darüber hinaus stellen die<br />
„Handelstouristen“, die bei täglichen Grenzübertritten<br />
Kleinsthandel betreiben, eine zusätzliche Form sehr<br />
kurzfristiger Mobilität dar. Dies betrifft vor allem die<br />
Grenzregionen Deutschlands und Österreichs.<br />
261. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union befürchten<br />
einen starken Anstieg der Zuwanderungen<br />
und negative Folgen für ihre Arbeitsmärkte, wenn die<br />
Grenzen abrupt geöffnet werden. Auf Grund solcher<br />
Befürchtungen werden mehr oder weniger lange Übergangsfristen<br />
gefordert.<br />
Die Verteilung der Einwanderung auf die einzelnen<br />
Mitgliedstaaten der Europäischen Union zeigt, dass im<br />
Zeitraum der Jahre 1990 bis 1997 auf Deutschland und<br />
Österreich der Hauptteil der damaligen Wanderungen<br />
entfiel. Nach offiziellen Angaben lebten im Jahre 1998<br />
in der Europäischen Union gut 800 000 Personen, die