Jahresgutachten 2000/01 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 247 – Drucksache 14/4792<br />
Reformen im Gesundheitswesen – Das Beispiel Schweiz<br />
Kasten 7<br />
Die Schweiz hat im Jahre 1996 mit einer umfassenden Reform auf die in den Jahren zuvor immer beklagten Systemmängel<br />
ihres Gesundheitswesens reagiert. Diese Reform schuf die Rahmenbedingungen für ein wettbewerblich<br />
organisiertes Gesundheitswesen. Dessen prägende Kennzeichen sind: eine allgemeine Versicherungspflicht, die<br />
Reduzierung der einkommensumverteilenden Elemente des Gesundheitssystems, ein verbindlich definierter Grundleistungskatalog,<br />
eine freie Kassenwahl bei Kontrahierungszwang der Kassen, ein Risikostrukturausgleich zwischen<br />
den Kassen sowie ein vergrößerter Vertragsgestaltungsspielraum für die Kassen sowohl in den Beziehungen<br />
zu den Versicherten als auch zu den Leistungserbringern.<br />
Mit Inkrafttreten des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) im Jahre 1996, dem ein mit knapper Mehrheit angenommenes<br />
Referendum zwei Jahre zuvor vorausgegangen war, sind alle in der Schweiz wohnenden Personen obligatorisch<br />
in der sozialen Krankenversicherung versichert. Die Prämien sind nur von den Versicherten zu zahlende<br />
Kopfprämien, das heißt ohne Arbeitgeberanteil. Jede der rund 100 gegenwärtig existierenden Kassen ist verpflichtet,<br />
von ihren erwachsenen Mitgliedern über 25 Jahren in einer Region eine einheitliche Prämie zu erheben, sodass die<br />
Prämien sich nur von Kasse zu Kasse oder innerhalb einer Kasse nach Regionen unterscheiden können. Für jüngere<br />
Versicherte bieten die Kassen günstigere Prämientarife. Die Prämien sind durch eine Bundesaufsichtsbehörde zu genehmigen.<br />
Damit ist keine Prämiengestaltung nach versicherungsmathematischen Äquivalenzgesichtspunkten verwirklicht,<br />
dennoch werden auf diese Weise die systemimmanenten Umverteilungselemente auf die Bereiche jung/alt,<br />
Mann/Frau und krank/gesund beschränkt. Zuschüsse an einkommensschwache Personen werden außerhalb des Systems<br />
vom Bund und den Kantonen direkt an die Berechtigten ausgezahlt. Die Zuschusskriterien sind großzügig gefasst,<br />
je nach Kanton sind bis zu 63 vH der Bevölkerung anspruchsberechtigt. In der Summe machten die Zuschüsse<br />
mit 2,3 Mrd Schweizer Franken im Jahre 1997 rund 13 vH der gesamten Beitragszahlungen aus. Da die konkrete<br />
Ausgestaltung der Bezuschussung in kantonale Zuständigkeit fällt, bestehen regional beträchtliche Unterschiede. Diese<br />
zeigen sich auch mit Blick auf die Prämienstruktur: So werden im kommenden Jahr die durchschnittlichen Monatsprämien<br />
für Erwachsene zwischen 145 Franken im günstigsten Kanton bis zu 336 Franken im teuersten Kanton variieren.<br />
Aber auch diese Spanne verdeckt noch, dass es zwischen den Kassen innerhalb einer Region ebenfalls deutliche<br />
Unterschiede im Prämienniveau gibt. Neben den direkten Einkommenszuschüssen enthält das KVG im Bereich der<br />
stationären Versorgung nicht personell <strong>zur</strong>echenbare Umverteilungselemente innerhalb des Systems selbst, indem die<br />
Kantone mindestens 50 vH der Betriebskosten für die Behandlung der Patienten in der allgemeinen Abteilung von<br />
öffentlichen und öffentlich subventionierten Krankenhäusern übernehmen.<br />
Durch diese obligatorische Krankenversicherung ist ein verbindlicher Leistungskatalog abgesichert. Wichtigste<br />
Ausnahme im Vergleich zu Deutschland ist der zahnärztliche Bereich, der wie auch der übrige, den Grundleistungskatalog<br />
überschreitende Bereich über private Zusatzverträge abgedeckt werden kann. Die Aktualisierung<br />
und Fortschreibung des Grundleistungskatalogs fällt in die Zuständigkeit einer Expertenkommission unter Hinzuziehung<br />
der Verbände der Kassen und Ärzte.<br />
Eine Angebotssteuerung im ambulanten Bereich findet nicht statt. Die unbeschränkte Niederlassungsfreiheit hat in<br />
der Schweiz eine im internationalen Vergleich hohe Ärztedichte <strong>zur</strong> Folge. Die Leistungen werden differenziert<br />
nach Kantonaltarifen abgerechnet. Geplant ist die Einführung eines gesamtschweizerischen Tarifs. Im ambulanten<br />
Bereich dominiert die Einzelleistungsvergütung über Punktwerte. Im stationären Sektor sind nur solche Krankenhäuser<br />
in der obligatorischen Krankenversicherung zugelassen, die auf kantonal erstellten Spitallisten geführt werden.<br />
Die Bedarfsplanung auf Ebene der Kantone im Verbund mit der höchstens hälftigen Finanzierung der Spitalkosten<br />
durch die Krankenkassen ähnelt dem deutschen System der dualen Krankenhausfinanzierung.<br />
Die Versicherten haben das Recht der freien und unbeschränkten Kassenwahl, die Kassen sind kontrahierungspflichtig.<br />
Damit die nicht nach Alter und Geschlecht differenzierenden Kopfprämien nicht zu einem Risikoselektionswettbewerb<br />
zwischen den Kassen führen, wurde mit der Reform 1996 ein auf zunächst zehn Jahre befristeter<br />
Risikostrukturausgleich eingerichtet. Ausgleichsmerkmale des Systems sind Alter und Geschlecht; Multimorbiditätsrisiken<br />
werden analog zu Deutschland nicht ausgeglichen.<br />
Ein zentrales Element der Schweizer Reform war die Vergrößerung des vertraglichen Gestaltungsspielraums für die<br />
Kassen. Diese können ihren Versicherten eine Reihe unterschiedlicher Verträge anbieten. Zum einen ist es möglich,<br />
die Kostenbeteiligung der Versicherten gegen Prämienreduktion zu erhöhen. Zum anderen können die Kassen ihren<br />
Mitgliedern verbilligte Prämien offerieren, wenn diese auf das Recht der freien Wahl der Leistungserbringer verzichten.<br />
Hierzu zählen Verträge, die den Zugang auf bestimmte Spitäler und Ärzte beschränken. Generell besteht<br />
ein Selbstbehalt in Höhe von 230 Franken pro Jahr (Franchise). Darüber hinausgehende Rechnungen sind in Höhe<br />
von 10 vH selbst zu tragen. Der jährliche Selbstbehalt ist auf 600 Franken pro Jahr begrenzt.