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Heft 02 Heft_02_2009.indb 1 16.2.2009 12:14:08 Uhr - qubus

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235<br />

denkbar<br />

Baumzeichnung und Gedicht eines achtunddreissigjährigen Gymasiallehrers<br />

Der Baum ist nicht im Boden verwurzelt und droht in der Mitte<br />

zu zerbrechen. «Entwurzelt schwanken Bäume» heisst es im Gedicht<br />

des Patienten an Schwester Ruth (eine psychiatrische Pflegefachfrau).<br />

Mit seinen offenen Ästen ist der Baum schutzlos den<br />

atmosphärischen Bedingungen und Veränderungen ausgesetzt.<br />

Regen, Schnee und Winde können durch die Röhrenäste in ihn<br />

eindringen. «Eisiger Reif weht durch das Land», «Schrille Töne<br />

zerreissen das Ohr», so drückt der Patient in seinem Gedicht seine<br />

Schutzlosigkeit und sein Ausgeliefertsein aus. Beim gemeinsamen<br />

Betrachten seines Baumes gab der Patient an, dass beim Frontalunterricht<br />

die Blicke seiner Schüler so sehr in ihn eindringen würden,<br />

dass ihm oft nichts anderes übrig bleibe, als wegzugehen.<br />

Beim Betrachten der Zeichnung fragt man sich, ob sich der<br />

kranke Baum noch je wird erholen können. Auf jeden Fall muss<br />

er jetzt geschützt werden. «Eisiger Wind» muss durch eine Schutzwand<br />

von ihm ferngehalten werden. Der Stamm droh in sich zusammenzubrechen,<br />

wenn er in der Mitte nicht gestützt wird.<br />

Auch mit seinem Gedicht appelliert der Patient an Schwester<br />

Ruth, ihm das zu geben, was er jetzt dringend braucht: «Wärme»,<br />

«Sicherheit», «Halt», «kräftige Gegenwart». Er sucht derzeit keine<br />

Auseinandersetzung über seine Konflikte und keine Bearbeitung<br />

seiner Lebensgeschichte. Dazu fühlt er sich jetzt zu schwach,<br />

zu zerbrechlich, zu gefährdet.<br />

Wir entschlossen uns, auf Grund all dieser Eindrücke und Befunde,<br />

dem Patienten gegenüber zunächst eine führende und stützende<br />

Haltung einzunehmen und so auf ihn einzugehen, dass er<br />

es wagen würde, sich über seine aktuellen Nöte und sein inneres<br />

Erleben auszusprechen. Dabei traten seine schweren inneren Nöte<br />

deutlicher zutage. Der Patient fühlte sich vom «Untergang» bedroht,<br />

er war sich seiner Identität nicht mehr sicher, konnte oft<br />

zwischen Du und Ich nicht mehr unterscheiden und litt an Verfolgungswahn.<br />

Mit den offenen Ästen in seiner Baumzeichnung<br />

signalisierte er unbewusst diese Ich Demarkationsstörung (Ich-<br />

Grenzauflösung).<br />

<strong>Heft</strong>_<strong>02</strong>_<strong>2009.indb</strong> 235<br />

<strong>16.2.2009</strong> <strong>12</strong>:<strong>14</strong>:56 <strong>Uhr</strong>

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