Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?
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KONTINUITÄT UND ABBRUCH PERSISTENTER DELINQUENZVERLÄUFE 103<br />
Der Beitrag verwendet ausgewählte Erkenntnisse aus der internationalen kriminologischen<br />
Verlaufsforschung. Wenn Befunde aus Münster oder Duisburg berichtet<br />
werden, handelt es sich um Daten aus der Panelstudie „Kriminalität in der modernen<br />
Stadt“, die gemeinsam von Jost Reinecke und dem Autor seit 2000 in Münster und seit<br />
2002 in Duisburg mit jährlichen Befragungen anhand eines im Wesentlichen kriminalsoziologischen<br />
Analysemodells durchgeführt werden (Boers et al. 2006; Boers und<br />
Reinecke 2007). Beide Studien begannen im Alter von durchschnittlich 13. Jahren.<br />
Die münstersche Untersuchung wurde nach vier Wellen im Alter von 16 Jahren beendet.<br />
Die Duisburger Studie wird fortgesetzt. Im Frühjahr 2008 wurde die siebte Welle<br />
(Durchschnittsalter: 19 Jahre) erhoben; in diesem Beitrag werden Daten bis zum Alter<br />
von 17. bzw. 18. Jahren (erste bis fünfte bzw. sechste Welle) berichtet. 3<br />
A. Die Trias: Ubiquität, Spontanbewährung und Intensität<br />
1. Ubiquität<br />
Die Delinquenzverbreitung ist im Dunkelfeld deutlich höher als im polizeilichen und<br />
justiziellen Hellfeld. Dies wird hier anhand der Duisburger und münsterschen Täterbefragungen<br />
erörtert. In beiden Städten wurden die Jugendlichen gebeten, zu insgesamt<br />
16 Gewalt-, Sachbeschädigungs-, Eigentums- und Drogendelikten anzugeben, ob sie<br />
diese jemals (Lebensprävalenz) oder in den vergangenen 12 Monaten (Jahresprävalenz)<br />
begangen hatten. <strong>Das</strong> Schwerespektrum der klassischen Delikte reichte vom<br />
Ladendiebstahl (das Schwarzfahren wurde also nicht mehr erhoben) bis zum Raub;<br />
daneben wurde auch nach problematischen Handlungen im Zusammenhang mit dem<br />
Internet gefragt.<br />
Schon nach den Jahresprävalenzraten berichteten über alle Befragungswellen hinweg<br />
bis zu einem Fünftel der Befragten, in den letzten 12 Monaten ein Bagatelldelikt<br />
wie den Ladendiebstahl begangen zu haben. Die Prävalenzrate für Körperverletzung<br />
ohne Waffen betrug in Münster bis zu 12% und in Duisburg bis zu 17%, bei den einzelnen<br />
Sachbeschädigungsdelikten bis zu 14% (nicht tabellarisch dargestellt, siehe<br />
Boers et al. 2006, S. 71). Im polizeilichen Hellfeld werden deutlich weniger Jugendliche<br />
registriert, zum Beispiel in Münster wie in Duisburg für alle Delikte jährlich nur<br />
11%, bundesweit (über die Jahre recht konstant) etwa 7%. 4 Die Deliktsstruktur ist<br />
3<br />
Beide Studien wurden als Schülerbefragungen in der siebten Klasse mit Schülerinnen und Schülern<br />
aller Schulformen begonnen. Die Ausgangsgröße betrug in Münster n = 1.949 und entsprach 69% aller<br />
Siebtklässler; in der vierten Welle (2003): n = 1.819. In Duisburg wurde die Studie mit 3.411 Befragten<br />
begonnen (61% aller Siebtklässler), 2. Welle (2003): n = 3.392, 3. Welle (2004): n = 3.339, 4.<br />
Welle (2005): n = 3.243, 5. Welle (2006): n = 4.548, 6. Welle (2007): n = 3.336 (jeweilige Querschnittstichproben).<br />
Die Rücklaufquoten lagen in Münster zwischen 87% und 88%, in Duisburg zwischen<br />
81% und 92%. Weitere Informationen zur Studie: www. uni-bielefeld.de/soz/krimstadt.<br />
4<br />
In Duisburg wurden 2004 10,3% aller Jugendlichen von der Polizei registriert (PKS Duisburg,<br />
http://www1.polizei-nrw.de/duisburg/Themen/article/kriminalitaetsbericht.html, 19.04.06), in Münster<br />
waren es im selben Jahr 10,9% (PKS Münster, http://www1.polizei-nrw.de/muenster/Statistik/2004/,<br />
19.04.06; eigene Berechnungen). Bundesweit betrug der Tatverdächtigenanteil (nur für deutsche Tatverdächtige<br />
<strong>vor</strong>handen) unter 14-17jährigen im Jahr 2004 7,1% (Bundeskriminalamt 2005, S. 99). Der<br />
Vergleichbarkeit wegen wurden diese Hellfelddaten für jene Jahre wiedergegeben, in denen in unseren<br />
Täterbefragungen die höchsten Prävalenzraten beobachtet wurden.