Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?
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KONTINUITÄT UND ABBRUCH PERSISTENTER DELINQUENZVERLÄUFE 111<br />
2003 sowie Sampson und Laub 2003, S. 558 f. m.w.N.). Moffitt nimmt an, dass bei<br />
Letzterem, den größten Teil auffälliger Jugendlicher umfassendem Pfad, das dissoziale<br />
Verhalten infolge asynchron verlaufender persönlicher und sozialer Entwicklungen<br />
(„Reifungslücke“) frühestens in der Jugendzeit beginne und mit deren Ende auf Grund<br />
gelingender Sozialisationsprozesse – also im Rahmen von Prozessen der Spontanbewährung<br />
– abgebrochen werde; psychische Auffälligkeiten kämen hier nicht <strong>vor</strong>. Hingegen<br />
soll bei der zahlenmäßig kleinen LCP-Trajektorie die psychopathologische<br />
Qualität besitzende dissoziale Entwicklung bereits im frühesten Kindesalter beginnen<br />
und über den Lebensverlauf in unterschiedlichen Erscheinungsformen fortdauern; sie<br />
beruhe auf ererbten oder erworbenen neuro-kognitiven Persönlichkeitsdefiziten (geringe<br />
verbale Intelligenz, schwieriges Temperament, Hyperaktivität, geringe Selbstkontrolle),<br />
die sich unter ungünstigen Umweltbedingungen (inadäquate Erziehung,<br />
gestörte familiäre Bindungen, Armut) negativ entfalteten (Moffitt 1993, S. 680 ff., 685<br />
ff.; Moffitt et al. 2001, S. 207 ff.). Die Verlaufsannahme geht also dahin, dass bei diesen<br />
Tätern das Ausmaß der Täterinzidenzrate fortdauere, also – anders als bei den<br />
glockenförmigen Prävalenzraten – nicht zurrückgehe. Der Streit über die Kontinuität<br />
oder den Abbruch von Delinquenzverläufen besteht mithin nur bei den Intensivtätern.<br />
Kriminalpolitisch besteht folglich bei einer maximal auf das Heranwachsendenalter<br />
begrenzten, also sich spontan bewährenden Delinquenz die generelle Überzeugung,<br />
dass eine so genannte primäre Kriminalprävention angemessen ist. Es geht also um am<br />
sozialen Umfeld, seinen Institutionen und Gruppen (Wohnviertel, Peer Groups, Schulen,<br />
Familie, Vereine etc.) orientierte Maßnahmen, die im Übrigen bei bereits jugendstrafrechtlicher<br />
Relevanz <strong>vor</strong>nehmlich im Rahmen der Diversion erfolgen sollen. Damit<br />
können die Prävalenzraten in einem verträglichen Ausmaß gehalten und Prozesse<br />
der Spontanbewährung gefördert werden. Bei den persistenten Intensivtätern, <strong>vor</strong> allem<br />
den vermuteten LCP-Offenders, gehen die Auffassungen <strong>vor</strong> allem unter (amerikanischen)<br />
Kriminalpolitikern indessen auseinander. Nicht in Bezug auf die Notwendigkeit,<br />
dass hier überhaupt individuelle Interventionen zu erfolgen haben. Darüber<br />
besteht weitgehender Konsens. Je nach Ausrichtung werden jedoch einerseits <strong>vor</strong>nehmlich<br />
Maßnahmen der positiven Spezialprävention (resozialisierende sozialpädagogische<br />
oder therapeutische Programme) und andererseits solche der negativen Spezialprävention<br />
fa<strong>vor</strong>isiert (<strong>vor</strong> allem zur Sicherung von als gefährlich und rezidiv eingestuften<br />
Tätern). Für Letzteres hat die in zahlreichen amerikanischen Bundesstaaten<br />
eingeführte Sanktionspolitik der „Selective Incapacitation“, oder in der populistischen<br />
Variante: des „Three strikes and you’re out“, seit den neunziger Jahren eine Vorreiterrolle<br />
eingenommen (Zimring et al. 2001; siehe auch Blumstein et al. 1986, S. 128<br />
ff.). 17<br />
17 Zum Beispiel müssen nach kalifornischem Strafrecht seit 1994 bereits zweimal wegen eines schweren<br />
Delikts (zum Beispiel Wohnungseinbruch) oder einer Gewalttat Verurteilte bei einer dritten (leichteren)<br />
Tat (zum Beispiel einfacher Diebstahl) zu 25 Jahren oder lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt<br />
werden, wovon mindestens 20 Jahre zu vollstrecken sind. Erfolgt die leichtere Tat (sogenanntes „Strike“-Delikt)<br />
als zweite Tat, dann ist hierfür die Strafe zu verdoppeln. Als Folge dieser Gesetzgebung<br />
ergingen in den ersten Jahren nach Inkrafttreten der Vorschriften mehr 25-jährige oder lebenslange<br />
Verurteilungen wegen Marihuana-Besitzes als zusammengenommen wegen Mordes, Vergewaltigung<br />
oder Geiselnahme (Zimring et al. 2001, S. 7 ff.). - Vor allem als Folge einer solchen Sanktionspolitik<br />
ist die U.S.-amerikanische Gefangenenpopulation seit 1980 bis 2006 um mehr als das Vierfache auf