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Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?

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NEUE PUNITIVITÄT IN DER JUGENDKRIMINALPOLITIK? 21<br />

I. Kriminalitätsfurcht<br />

Die Kriminalitätsfurcht ist nicht nur als Moderatorvariable für punitive Einstellungen<br />

relevant, sondern kann als eigenständiger kriminalpolitischer Faktor auch das Anzeigeverhalten<br />

der Bevölkerung und die private Verbrechens<strong>vor</strong>beugung beeinflussen,<br />

aber auch zu problematischem freiheitsbeschränkendem Vermeideverhalten oder gar<br />

zu unerwünschter Bewaffnung der Bürger führen. Die für die öffentliche Sicherheit<br />

verantwortlichen Politiker reagieren darauf in der Regel mit verschärften Sicherheitsund<br />

Strafgesetzen, die auch das Jugendstrafrecht nicht ausklammern. Hinzu kommen<br />

polizeiliche Sicherungsmaßnahmen wie die Ausweitung der Videoüberwachung in der<br />

Öffentlichkeit oder verstärkte Polizeikontrollen, die einen großen Aufwand erfordern<br />

und mittelbar die öffentlichen Mittel für notwendige Maßnahmen der Jugendhilfe oder<br />

einen erzieherisch gestalteten Jugendstrafvollzug reduzieren.<br />

<strong>Das</strong> alles wäre bis zu einem gewissen Grad vertretbar, wenn die Kriminalitätsfurcht<br />

hoch mit der tatsächlichen Kriminalitätsbedrohung korrelieren würde. <strong>Das</strong> ist aber<br />

weitgehend nicht der Fall. Es gehört zu den gesicherten Forschungsergebnissen der<br />

Viktimologie, dass auf der kognitiven Ebene der Kriminalitätsfurcht die Kriminalitätsentwicklung<br />

erheblich bedrohlicher eingeschätzt wird als sie tatsächlich ist und dass<br />

auch bei abnehmenden Delikten eine Zunahme vermutet wird, <strong>vor</strong> allem bezüglich der<br />

schwersten Delikte wie Mord, Sexualdelikte, Raub und Einbruchsdiebstahl. 35 Außerdem<br />

wird eine Kriminalitätszunahme im ganzen Land dreimal so hoch eingeschätzt<br />

wie in der eigenen Wohngegend. 36<br />

Hinzu kommen die Erkenntnisse auf der affektiven Ebene, die – wenn auch unvollkommen<br />

– mit der Standardfrage erfasst wird, ob man Angst habe, wenn man nach<br />

Einbruch der Dunkelheit nachts in seinem eigenen Stadtteil draußen allein spazieren<br />

gehe. 37 Diese personale Kriminalitätsfurcht steigt mit zunehmendem Alter beträchtlich,<br />

38 und sie ist in nahezu allen Untersuchungen größer als das eingeschätzte Risiko,<br />

von Straftaten tatsächlich betroffen zu werden. 39 All diese Befunde weisen auf die<br />

starke Abhängigkeit der Kriminalitätsfurcht von der Aufbereitung einzelner Kriminalitätsfälle<br />

und der allgemeinen Sicherheitslage in den Medien hin, auf die ich noch gesondert<br />

eingehen werde.<br />

Problematisch ist aber <strong>vor</strong> allem, dass die geforderte Reduzierung der Kriminalitätsfurcht<br />

zu einem eigenständigen kriminalpolitischen Ziel für die Legislative und<br />

Exekutive geworden ist. Daran hat auch der vielfach festgestellte Rückgang der personalen<br />

Kriminalitätsfurcht in Deutschland seit Mitte der 90er Jahre 40 nichts geändert.<br />

Zutreffend hat Winfried Hassemer <strong>vor</strong> kurzem darauf hingewiesen, „dass Sicherheits-<br />

35<br />

2. PSB 2006, 494, Schaubild 5.3.1, sowie S. 496 ff.; Pfeiffer/Windzio/Kleinmann European Journal of<br />

Criminology, 2005, 259, 264, Table 2.<br />

36<br />

2. PSB 2006, 495 f., Schaubild 5.3.2; Schwind 2001, 252.<br />

37 Schwind Kriminologie, 18. Aufl. 2008, § 20 Rn. 24.<br />

38 2. PSB 2006, 509, Schaubild 5.4.1.<br />

39<br />

2. PSB 2006, 508.<br />

40<br />

2. PSB 2006, 518 ff.

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