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Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?

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MICHAEL WINKLER<br />

deutung – für Missverständnisse muss um Nachsicht gebeten werden, das Unterbewusstsein<br />

hat sie aber wahrscheinlich doch beabsichtigt.<br />

A. Schwierigkeiten mit dem Erziehungsbegriff<br />

Zu den Eigentümlichkeiten der Debatten um hochbelastete Kinder und Jugendliche<br />

gehört, dass gerne getan wird, als ob man genau wüsste, worum es eigentlich geht und<br />

was zu tun wäre. Dabei werden große Begriffe mit einer Selbstverständlichkeit verwendet,<br />

dass man sich schier wundern muss. Öffentlichkeit, Medien und Politik machen<br />

glauben, dass sie die Problemlagen und die Lösungswege längst kennen, obwohl<br />

doch dieses sozialpädagogische Handlungsfeld wie kein anders auszeichnet, dass wir<br />

eigentlich für jeden Fall nach eigenen Lösungen, vielleicht sogar nach einer eigenen<br />

Sprache suchen müssen, um ihn zu erfassen. Objektiv betrachtet stehen Unklarheit<br />

und Unbestimmtheit, das Nichtverstehen und das Unverständnis im Zentrum, weil wir<br />

uns in einem Bereich menschlicher Existenz und menschlichen Handelns bewegen,<br />

dem wir die Besonderheit geradezu methodisch zubilligen müssen, um nicht katastrophale<br />

Fehler zu begehen – Fehler, die wir häufig dennoch nicht vermeiden können:<br />

Wir wissen nur in Annäherung, heuristisch, mit wem wir es eigentlich zu tun haben.<br />

Es gibt keine eindeutige, sondern nur eine fallbezogene, biographischer Entwicklungen<br />

sich vergewissernde Bestimmung dessen, was als Abweichung, als kriminell, als<br />

gewalttätig gelten kann, wer insbesondere als Intensivtäter agiert und was dieser Ausdruck<br />

eigentlich besagt. Wir bewegen uns in einem Feld, das in einem hohen Maße<br />

selbst dann durch Kontingenzen gezeichnet ist, wenn wir Entwicklungen nachzeichnen<br />

können, welche zu Eskalationen geführt haben. Um nur auf ein aktuelles Beispiel<br />

zu verweisen, nämlich auf den Fünfzehnjährigen, der im Spätsommer des Jahres 2008<br />

im bayerischen Fürth einen Erwachsenen fast tot geschlagen hat, nachdem ihm dieser<br />

– so seine Aussage – in einer U-Bahnstation Hilfe angeboten hatte: Viel spricht dafür,<br />

dass der Junge, materiell offensichtlich gut gestellt, mit formal hohem Bildungsniveau<br />

und ohne Migrationshintergrund an der Trennung seiner Eltern zerbrochen ist, den<br />

dieser folgenden Tod seines Vaters nicht verarbeiten konnte und zudem nicht mehr<br />

damit klar gekommen ist, dass die Betreuung durch einen Sozialpädagogen abgebrochen<br />

worden war. Es liegt nahe, dass der Junge in seiner Auseinandersetzung mit<br />

männlichen Bezugspersonen chaotisiert worden ist und nun in einer Mischung aus<br />

Übertragung und Übersprungsreaktion den Erwachsenen mit geradezu blindem Hass<br />

angegriffen hat.<br />

Dazu soll nichts weiter ausgeführt werden, weil auf schwacher Materialbasis zu<br />

spekulieren wäre. Gleichwohl belegen die Andeutungen, wie wir unser Wissen um<br />

Bedingungszusammenhänge und Dynamiken menschlicher Entwicklung zu Diagnosen<br />

durchaus nutzen können, bzw. nutzen könnten. Dennoch müssen wir uns <strong>vor</strong> aller<br />

Generalisierung hüten. Trotz eines verfügbaren Wissens über gute Entwicklungsbedingungen<br />

für junge Menschen fehlt letztlich die Sicherheit für Prognosen. So wie wir<br />

die Lebensgeschichten dieser jungen Menschen als existenzielle Experimente verstehen<br />

müssen, bleiben die Reaktionen auf ihr extremes Handeln niemals frei von experimentellen<br />

Zügen. Es gibt keine Systematik oder gar Mechanik des Handelns mit<br />

Kindern, die hassen – um bewusst auf die Formulierung von Fritz Redl und David

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