31.12.2012 Aufrufe

Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?

Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?

Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ERZIEHUNG SINNLOS? 139<br />

Wineman zurück u greifen, weil sie den emotionalen Grundsachverhalt noch am besten<br />

zum Ausdruck bringt (Redl / Wineman 1984).<br />

Dieser Hinweis auf den Menschen als Experiment spricht eine Prämisse aus, die<br />

wir festhalten sollten. Sie bedeutet, dass wir bei allen Debatten über Reaktionen auf<br />

extrem agierende junge Menschen <strong>vor</strong>sichtig gegenüber den verwendeten Begriffen<br />

sein müssen, allzumal wenn sie als Konzepte zugleich bestimmte Handlungsstrategien<br />

und Handlungen aufdrängen möchte. Solche Vorsicht, so das Plädoyer, ist auch gegenüber<br />

dem Begriff der Erziehung angebracht. Dieser Begriff ist groß, meistens zu<br />

groß – und genau darin liegt seine Problematik.<br />

Nun klingt es ziemlich trivial, wenn man festhält, dass der Begriff der Erziehung<br />

weder in seiner Extension noch in seiner Intension begrenzt und zureichend bestimmt<br />

ist. Damit soll jedoch weniger darauf abgehoben werden, dass offensichtlich jeder<br />

seine eigene Vorstellung davon hat, was Erziehung ist, und <strong>vor</strong> allem jeder zu wissen<br />

meint, wohin sie zu führen hat, dass also deskriptive und normative Elemente geradezu<br />

notorisch durcheinander gehen. Die Schwierigkeit liegt vielmehr darin, dass der<br />

Begriff der Erziehung selbst geradezu durch eine Aura verfärbt ist, dass zudem sein<br />

Gebrauch eher reflexiv erfolgt, gleichwohl stets prospektiv den Zusammenhang mit<br />

einer Praxis aufdrängen will.<br />

All diese Merkmale teilt der Begriff der Erziehung mit anderen, welche in der Aufklärung<br />

Gewicht bekommen haben; <strong>vor</strong>her war Erziehung – wie Lorenz von Pogrell<br />

gezeigt hat (von Pogrell 1998/2004) – schlicht mit Fragen der Ernährung und den<br />

menschlichen Verdauungsfunktionen gekoppelt. Die Aufklärung umgibt den Begriff<br />

mit seiner bis heute sichtbaren Aura. Dieser Heiligenschein soll die gemeinte Praxis<br />

veredeln, weil mit Erziehung die Erwartung gesellschaftlicher und kultureller Verbesserung<br />

verbunden wird. Es geht, wie Kant das so schön formuliert hat, um den künftig<br />

möglich bessern Zustand des Menschengeschlechts. Allerdings haben die Akteure<br />

diesen bessern Zustand selbst zu bestimmen, wozu sie ihrerseits wieder sich selbst<br />

befähigen sollen, weil die Älteren ja nicht darüber befinden können, was denn künftig<br />

so wünschenswert sei. Die jüngeren, also die zu erziehenden, sollen das schon selber<br />

herausfinden, worin sie denn in das Projekt der Überschreitung der Gegenwart eintreten.<br />

So seltsam das also klingt: der in der Aufklärung geschaffene Erziehungsbegriff<br />

bleibt jenseits des in ihm gegebenen Verbesserungsversprechens leer, weil nämlich die<br />

Zöglinge ihren künftigen Zustand selbst bestimmen sollen. Wenn bis heute im populären<br />

Denken von Erziehungszielen gesprochen wird und sich zugleich ein Unbehagen<br />

darüber breit macht, um welche es sich denn handeln könnte, gründet dies in diesem<br />

Paradox des modernen Erziehungsbegriffs, ein Versprechen zu geben, ohne sagen zu<br />

dürfen, was man den nun wirklich inhaltlich verspricht.<br />

Man merkt, wenn es um Erziehung geht, haben wir mit einem großen Vorhaben zu<br />

tun, das die Gemüter ziemlich erregt. Insbesondere in der deutschsprachigen Debatte<br />

wie ebenso in der französischen Tradition steht Erziehung als leuchtendes Symbol für<br />

einen Fortschritt, der gerne als Humanisierung des Humanen oder wenigstens als das<br />

nationale Projekt der bürgerlichen Gesellschaft gedacht wird: Selbst dem angelsächsischen<br />

Denken, das sich meist als nüchtern ausgibt, eignen solche an Erziehung gekoppelten<br />

Vorstellungen vom sozialen und kulturellen Projekt. Während dieses aber in<br />

England dem Personal wenigstens pragmatisch erlaubt, die Kinder nach ihren Fehltrit-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!