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Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?

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250<br />

MICHAEL WALTER<br />

tivmodelle. Von einem insgesamt rational geplanten oder gar ökonomisch durchdachten<br />

Vorgehen kann nach alledem schwerlich gesprochen werden. 28<br />

H. „Die“ kriminologischen Erkenntnisse – gibt´s die?<br />

Die Vorstellung, es müsse die künftige Kriminalpolitik wissenschaftlich geleitet und<br />

wissenschaftliche Erkenntnisse müssten deshalb verstärkt in die medial vermittelten<br />

kriminalpolitischen Auseinandersetzungen eingeführt werden, ist nicht lediglich deswegen<br />

problematisch, weil wissenschaftliche und mediale Bühnen unterschiedliche<br />

Wirklichkeiten präsentieren. Noch weitergehend stellt sich die Frage, inwieweit denn<br />

wissenschaftliche Kriminologie gegenüber der Medienkriminologie auf „gesichertes<br />

Wissen“ und bessere Grundlagen zurückgreifen kann. Ein Blick in die Geschichte der<br />

biologisch ausgerichteten Täter-Kriminologie verdeutlicht, dass auch wissenschaftliche<br />

Kriminologie keineswegs <strong>vor</strong> gefährlichen Irrtümern verschont blieb/bleibt. 29<br />

Geht es gar – polemisch ausgedrückt – unter der Überschrift der Wissenschaft letztlich<br />

nur um eine Allgemeinverbindlicherklärung von lobbyartig zusammengetragenen<br />

Ansichten – nicht zuletzt der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen?<br />

Bekanntlich können kriminalpolitische Einstellungen und Ansichten nicht allein<br />

aus Tatsachen oder irgendwelchen Forschungsbefunden abgeleitet werden (keine Ableitung<br />

des Sollens aus dem Sein). 30 Nötig ist stets eine bestimmte Wertorientierung,<br />

aus der erst konkrete Urteile durch Bezugnahmen auf die betreffenden Rechtstatsachen<br />

gewonnen werden können. Und diese Tatsachen oder Befunde werden zudem<br />

noch durch eine Fragestellung ermittelt, in die die Wertung bereits mittelbar eingegangen<br />

ist. Schon in der Forschungsfrage sind Festlegungen enthalten, die auch anders<br />

hätten <strong>vor</strong>genommen werden können. Ein allseits bekanntes Beispiel liefert die Dunkelziffer.<br />

Wenn ich nach ihr forsche, halte ich ein größeres Dunkelfeld für wahrscheinlich<br />

und betrachte die Dunkelziffer gleichzeitig als Problem, nicht nur als unvermeidbare<br />

Randunschärfe. Letzteres hatte man Jahrzehnte zu<strong>vor</strong> getan, ohne einen<br />

Handlungsbedarf zu erkennen. Unter der Prämisse des Handlungsbedarfs ist nun<br />

durchaus zweierlei möglich: sowohl ein nachsichtiger Umgang mit den wenigen „Erwischten“<br />

als auch eine Steigerung der polizeilichen Fahndung und ein rigoroseres<br />

Vorgehen. Für welchen Weg man sich entscheiden sollte, ist den Fakten nicht zu entnehmen.<br />

Als theoretisches Wertprinzip kommt zunächst der Gleichbehandlungsgrundsatz<br />

in Betracht. Er ist seinerseits verschieden anwendbar, nämlich im Sinne einer<br />

zurückhaltenden Sanktionierung der bekannt gewordenen Delinquenten oder im Sinne<br />

einer verstärkten Aufklärung des Dunkelfeldes. Dagegen ließen sich indessen möglicherweise<br />

Gesichtspunkte des Opferschutzes geltend machen, um eine sekundäre Viktimisierung<br />

zu vermeiden. „Die“ Kriminologie ist zu einem „objektiven“ Postulat mit-<br />

28<br />

Nach wie <strong>vor</strong> zutreffend Schüler-Springorum (1991), der von einer „Schein-heiligen Rationalität“<br />

spricht, S. 175<br />

29<br />

Von fehlsamen Kriminologen ganz zu schweigen, s. jüngst etwa die Studie von Munoz Conde zu<br />

Edmund Mezger (2007)<br />

30<br />

Im Kern Kantsches Denken, s. Höffe (2004), S. 175

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