Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?
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HACI-HALIL USCULAN<br />
hintergrund abhängig war. Realschüler, die in dieser Untersuchung den niedrigsten<br />
Bildungshintergrund aufwiesen, zeigten die stärksten Gewaltbelastungen<br />
und die geringsten Werte bei den Rechtsvariablen. Eine Analyse der Effekte<br />
von Tätererfahrung auf die Einstellungsmuster zeigt, jene Jugendliche, die<br />
mindestens schon einmal aktiv gewalttätig waren, gegenüber Nichtgewalttätern<br />
deutlich geringere Werte bei der Gesetzestreue und beim Vertrauen in die Polizei<br />
aufwiesen. Zwar waren in unserer Studie zum Rechtsbewusstsein Migrantenjugendliche<br />
nicht explizit aufgenommen, aber es scheint plausibel, dass eine<br />
Stärkung des Rechtsbewusstseins, eine Verdeutlichung der Normen und der<br />
Folgen von Gewalt für die eigene Lebensplanung von Migrantenjugendlichen<br />
gewaltpräventiv ist. Diese Vermutung ist in der Studie von Brüß (2004) empirisch<br />
überprüft worden und er konnte darin über verschiedene Gruppen hinweg<br />
(türkische Migranten, Aussiedler und deutsche Jugendliche) konsistent zeigen,<br />
dass das Vertrauen in das Rechtssystem sich statistisch signifikant reduzierend<br />
auf aggressive antisoziale Aktivitäten auswirkt. Dieser Effekt war sogar bei<br />
den türkischstämmigen Jugendlichen noch deutlicher ausgeprägt.<br />
In diesem Kontext sei abschließend auch auf eine exemplarische praktische Umsetzung<br />
dieser Überlegungen in Berlin verwiesen: <strong>Das</strong> „Zentrum des Jugendrechts Mitte“<br />
in Berlin führt – in Zusammenarbeit mit Schule, Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendgerichtshilfe<br />
– seit 2005 ein Projekt durch, an dem bislang mehr als 1500 Schüler<br />
im Alter von 13 bis 18 Jahren teilgenommen haben. Konkret geht es dabei darum,<br />
insbesondere an Oberschulen in sozialen Brennpunkten im Rahmen von Projektwochen<br />
eine intensive Schulung in Rechtskunde, Normen und Werte, Beschäftigung mit<br />
Gewalt und Folgen von Gewalt durchzuführen. Anschließend werden Schülern alle<br />
Stationen von der Straftat bis zur Verurteilung praxisnah <strong>vor</strong>geführt, in dem sie zur<br />
Vernehmung zur Polizei, zur Urteilsverkündung zum Amtsgericht und sogar auch für<br />
einige Minuten in eine Einzelzelle gehen. Daran anknüpfend werden die Folgen von<br />
strafbaren Gewalthandlungen noch einmal über Medien (Film) aufgearbeitet. Als klare<br />
Botschaft dieser einwöchigen Schulung kristallisiert sich, dass bspw. das unter Jugendlichen<br />
als Kavaliersdelikt fungierende „Abziehen“ (Handy wegnehmen, Jacke<br />
wegnehmen etc.) ein für sie sehr folgenreiches strafrechtliches Delikt darstellt. Als ein<br />
psychologischer Nebeneffekt wird der Umgang mit Polizei und anderen Amtspersonen<br />
(Staatsanwaltschaft, Richter) in einer positiven Richtung verändert, in dem ein<br />
Stück weit auch den Jugendlichen diese Prozesse transparent gemacht werden.<br />
Notwendig ist es, solche Projekte verstärkt in Schulen mit einem hohen Migrantenanteil<br />
durchzuführen und hierbei auch die Eltern einzubeziehen, um auf die strafrechtliche<br />
Relevanz von Gewaltdelikten hinzuweisen, die sich aus einer falsch verstandenen<br />
Männlichkeits- Dominanz und Ehr<strong>vor</strong>stellung ableiten. Nicht zuletzt lernen<br />
Jugendliche auch dabei, welche rechtlichen (und nicht nur gewaltförmigen) Möglichkeiten<br />
sie selber haben bei der Durchsetzung ihrer legitimen Interessen.<br />
Als Fazit ist festzuhalten, dass Migrantenjugendliche nicht nur Risiken für die<br />
Mehrheitsgesellschaft darstellen, sondern sie auch verschütt liegende Stärken haben.<br />
Gerade die Resilienzforschung stellt hier einen wichtigen Ansatz dar, wie Entwicklungspfade<br />
dennoch positiv beeinflusst werden können, wenngleich natürlich dadurch<br />
die Risiken selbst nicht aus dem Weg geräumt werden, da Resilienzfaktoren indirekt,