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Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?

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KLAUS BOERS<br />

schnittforschung sowie Gottfredson und Hirschi annehmen – auf einer persönlichen<br />

Anlage oder Neigung beruhe, sondern in informellen wie <strong>vor</strong> allem formellen sozialen<br />

Interaktionen herausgebildet werde, aber auch vermieden und geändert werden könne<br />

(soziale Reaktion): „Indeed, the stability of behavior may reflect more the stability of<br />

social response than the time-invariance of an individual trait“ (a.a.O., S. 154 f., Her<strong>vor</strong>hebung<br />

im Original).<br />

Nachdem der Labeling Ansatz insbesondere in den achtziger Jahren als wenig ertragreich<br />

galt und insbesondere in der kriminologischen Längsschnittforschung kaum<br />

Beachtung fand (im Überblick: Paternoster und Iovanni 1989), 30 stehen Sampson und<br />

Laub mit dieser Perspektivenerweiterung nicht allein da. Auch Loeber und Le Blanc<br />

(1990, S. 421) betrachteten bereits Anfang der neunziger Jahre den Labeling Approach<br />

als einzige der klassischen Kriminalitätstheorien, die man als „developmental in<br />

nature“ bezeichnen kann. Vor allem die differenzierte Bewertung des theoretischen<br />

und empirischen Gehalts des Labeling Approach durch Paternoster (einem der methodisch<br />

versiertesten Längsschnittforscher) und Iovanni dürfte zu einer stärkeren Rezeption<br />

in der kriminologischen Längsschnittforschung beigetragen haben.<br />

Paternoster und Iovanni führten Ende der achtziger Jahre die mangelnde Akzeptanz<br />

des Labeling Approach zum einen auf dessen simplifizierende Rezeption im Sinne<br />

eines Definitionsdeterminismus (allein schon das formelle Label löse eine kriminelle<br />

Karriere aus) zurück. Indessen würde ein erfolgreicher Labelingprozess – auch nach<br />

den Vorstellungen der Begründer des Labeling-Ansatzes, insbesondere, wenn man<br />

Lemerts (1967) Prozessmodell der sekundären Devianz folge – weit differenzierter<br />

erfolgen (Paternoster und Iovanni 1989, S. 359 ff., 386; „contingent nature“, S. 378).<br />

Ob und wie sich eine Etikettierung zu einer delinquenten persönlichen Identität im<br />

Sinne einer Self-Fulfilling Prophecy verdichte, hänge demnach von zahlreichen weiteren<br />

Vermittlungs- und Interaktionsprozessen, also <strong>vor</strong>nehmlich indirekten Zusammenhängen<br />

ab, die man als strukturelles Labeling bezeichnen kann: Vor allem die Öffentlichkeit<br />

des Labels, die ablehnende oder unterstützende Reaktion der sozialen Umgebung<br />

sowie die Beschränkung von Gelegenheiten zur konformen Lebensbewältigung<br />

sollen danach eine Rolle spielen (a.a.O., S. 375 ff.).<br />

Zum anderen habe die bestenfalls inkonsistente empirische Befundlage die Akzeptanz<br />

des Labeling Approach verringert. Nach Paternoster und Iovanni beziehen sich<br />

die empirischen Studien <strong>vor</strong> allem auf die beiden Kernthesen des Labeling Approach:<br />

neben der soeben erwähnten sekundären Devianz infolge strukturellen Labelings auf<br />

die sozial ungleiche Verteilung des Kontrollrisikos („status characteristic“ oder „structural<br />

location“ bei Sampson und Laub 1997, S. 152). Die meisten dieser Untersuchungen<br />

werden jedoch als methodisch unzureichend angesehen, da sie entweder allein auf<br />

Kontrollstichproben von zudem häufig Verurteilten und Rückfälligen beruhten, die<br />

einen Vergleich mit Nicht- oder Früh-Etikettierten nicht erlauben, oder auf Querschnittsdaten<br />

oder zeitlich zu kurzen Längsschnittstudien beruhen, mit denen der indirekte<br />

und komplexe strukturelle Vermittlungsprozess zur sekundären Devianz nicht<br />

30 Eine Ausnahme bildete in den siebziger Jahren bemerkenswerterweise Farrington (1977). Auch in<br />

seinen neuesten Theorieentwurf schließt er Labeling-Elemente ein (Farrington 2003a, S. 231 f.).

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