Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?
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KRIMINALPOLITIK IN DER MEDIENGESELLSCHAFT 249<br />
Sichtweisen zueinander gefunden werden. Schwierigkeiten scheinen insbesondere<br />
<strong>vor</strong>programmiert, sowie wissenschaftliche Positionen in medialem Gewande „vermarktet“<br />
werden sollen. <strong>Das</strong> verspricht eine rasche und weite Verbreitung, kann aber<br />
nur gelingen, falls und soweit sich entsprechende Erkenntnisse in die Fassung eines<br />
medial vereinfachten und viele Menschen in ihrem Vorverständnis ansprechenden<br />
Weltbildes einformen lassen. Ist es aber beispielsweise möglich, nach einer aufregenden<br />
Schilderung scheußlicher Gewalttaten mit empirisch fundierter Zurückhaltung bei<br />
den Kriminalsanktionen zu überzeugen?<br />
G. Gegenprobe: rational gesteuertes Handeln im Vormarsch?<br />
Nun mag man gegen Befürchtungen einer Emotionalisierung „aus dem Bauch“ heraus<br />
einwenden, sie liefen einem Zeitgeist zuwider, der von einem strikten ökonomischen<br />
Zweckdenken beherrscht und gesteuert werde. Beweist nicht der allgegenwärtige Ruf<br />
nach Prozess- und Ergebnisevaluationen, der längst das Kriminalrechtssystem erfasst<br />
hat 26 , die wachsende Vorherrschaft des kühlen Kalkulierens? In der Tat scheint derzeit<br />
die Ökonomie – wie zu<strong>vor</strong> Theologie und Philosophie – eine Art Metawissenschaft<br />
abzugeben, die unsere gesamte Blickrichtung bestimmt und uns auf Schritt und Tritt<br />
die Frage nach Kosten und Nutzen <strong>vor</strong> Augen hält. Doch um wessen Nutzen geht es<br />
letztlich? Meist steht nicht ein allgemeiner verstandener Gesellschaftsnutzen im Vordergrund,<br />
sondern ein engerer Partikularnutzen, nicht selten ein persönlicher Karriere<strong>vor</strong>teil.<br />
Gesetzesentwürfe zu jugendrechtlichen Reaktionen ebenso wie praktische<br />
Programme zum Umgang mit delinquenten Jugendlichen werden in den politischen<br />
Debatten oft als eine Art „Persönlichkeitsmarker“ begriffen, die eine bestimmte politische<br />
Ausrichtung kennzeichnen. Wer beispielsweise den „Warnschussarrest“ fa<strong>vor</strong>isiert,<br />
glaubt nicht unbedingt an bessere Rückfallzahlen (und kann das auch schwerlich),<br />
sondern will primär ein Zeichen setzen, für Straftäter, aber – in einem anderen<br />
Sinne – auch für sich selbst. Es muss etwas geschehen, und zwar muss die Aktivität in<br />
der betreffenden Legislaturperiode „spürbar“ werden und sich – in Wählerstimmen –<br />
„auszahlen“. Sparprogramme haben regelmäßig die Einrichtung <strong>vor</strong> Augen, die weniger<br />
ausgeben soll, fragen indessen kaum nach den Kosten, die andernorts oder erst<br />
später entstehen. Mitunter führen sie lediglich zu Kostenverschiebungen, wenn etwa<br />
das Land zu Lasten der Gemeinden spart u.ä.m. Auch beim Schutz der Allgemeinheit<br />
durch Inhaftierung werden Haftkosten nach wie <strong>vor</strong> recht „kurz“ berechnet, ohne die<br />
Langzeitaufwendungen, die für andere „Töpfe“ – wie etwa die allgemeinen Sozialsysteme<br />
– entstehen. 27 Außerdem berücksichtigt man oft nicht die äußerst begrenzten<br />
Effekte, die durch hohe Kosten bewirkt werden, und rechnet keine besseren Alterna-<br />
26<br />
Von Seiten der Rechtsprechung ist insbesondere auf das Bundesverfassungsgericht hinzuweisen, das<br />
in seiner Entscheidung zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage des Jugendstrafvollzugs forderte,<br />
dass der Gesetzgeber Prognosen über die Wirksamkeit von Vollzugsgestaltungen und wissenschaftliche<br />
Erkenntnisse berücksichtigen müsse, siehe BVerfGE 116, 69 (90).<br />
27<br />
Zur Problematik etwa Kaiser i. Kaiser/Schöch (2002), S.138 f. sowie Czabanski (2008)