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Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?

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WOLFGANG HEINZ<br />

9. Aggregatdatenanalysen der veröffentlichten Statistiken stehen u.a. <strong>vor</strong> dem<br />

Problem, dass nicht hinreichend den justiziellen Selektionsprozessen (hier:<br />

Einbeziehung der Heranwachsenden) Rechnung getragen werden kann. Durch<br />

Auswertung der Einzeldatensätze der StVerfStat lässt sich dieses Probleme lösen.<br />

Die Analyse von drei Delikten bzw. Deliktsgruppen, bei denen eine zunehmende<br />

Punitivität hätte erwartet werden können – §§ 223, 224, 249-255<br />

StGB – zeigt, dass im Zeitraum der Jahre 1995 bis 2006 gegenüber jugendlichen<br />

Verurteilten die Sanktionierungspraxis im Wesentlichen unverändert<br />

war. Anzeichen für zunehmende Punitivität ließen sich nicht feststellen.<br />

10. Auch die Entwicklung der Untersuchungshaftraten der nach JGG Abgeurteilten<br />

bietet keine Hinweise auf zunehmende Punitivität.<br />

11. Im Bereich der Vollstreckung und des Vollzugs finden sich noch am ehesten<br />

Indizien für zunehmende Punitivität. Der zahlenmäßige Unterschied zwischen<br />

Verurteiltenzahlen und der Zugangszahlen zum Jugendarrest wurde in den<br />

letzten Jahre größer. Dies könnte – die Messung ist mit vielen Unwägbarkeiten<br />

behaftet – auf eine Zunahme der Ungehorsamsarreste hindeuten. Ebenso<br />

gehen die <strong>vor</strong>zeitigen Entlassungen aus dem Jugendarrest zurück. Dem entspricht,<br />

dass – nach Daten allerdings nur aus einer Jugendstrafanstalt – der<br />

Anteil der Strafrestaussetzungen zur Bewährung gem. § 89 JGG rückläufig ist.<br />

12. <strong>Das</strong> Jugendstrafrecht gilt Teilen der Politik und der Öffentlichkeit als das<br />

„mildere“ Strafrecht. Der Vergleich zweier benachbarter Altersgruppen (20und<br />

21Jährige) zeigt, jedenfalls für Baden-Württemberg, dass 2006 – bei<br />

Verbrechen und Vergehen (ohne Vergehen im Straßenverkehr) – im Jugendstrafrecht<br />

etwas häufiger stationäre Sanktionen verhängt werden als im allgemeinen<br />

Strafrecht. Sektoral, also bei schweren Delikten gegen die Person,<br />

konnte dies indes in einer (allerdings auf einen LG-Bezirk beschränkten) Untersuchung<br />

nicht bestätigt werden; hier wurden die Erwachsenen etwas härter<br />

bestraft.<br />

13. Insgesamt gesehen zeigt die deutsche Strafrechtspraxis im langfristigen Vergleich<br />

keine Zunahme von Punitivität. Der Anteil der stationären Sanktionen<br />

ging von knapp 77% (1882) auf knapp 9% (2006) zurück. In diesem langfristigen<br />

Vergleich gibt es insgesamt drei „Punitivitätswellen“ – 1914 bis 1920,<br />

ab 1930 und ab 1955. Die „Punitivitätswellen“ Mitte der 1970er und ab 1990<br />

sind bei weitem nicht so stark ausgeprägt.<br />

Hinsichtlich der <strong>Jugendkriminalrecht</strong>spraxis kann – jedenfalls gestützt auf Daten<br />

der Strafrechtspflegestatistiken – auch für die Jahre ab 1990 eine eindeutige<br />

„Punitivitätswelle“ nicht belegt werden.<br />

14. Auch die Gefangenenraten im Jugendstrafvollzug geben – im Unterschied<br />

zum angloamerikanischen Bereich – keinen Anhaltspunkt für zunehmende<br />

Punitivität. Sie folgen strukturell und zahlenmäßig den Verurteiltenzahlen. Eine<br />

deutliche Auseinanderentwicklung von Verurteilten- und Gefangenenzahlen<br />

als Anzeichen für zunehmende Punitivität ist nicht erkennbar.

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