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Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?

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MICHAEL WINKLER<br />

dem schon genannten Wort von der Kuschelpädagogik steht. Bei diesem geht es gar<br />

nicht um <strong>vor</strong>geblich zu weiche Erziehung, vielmehr gilt die Attacke den Standards,<br />

welche in der Jugendhilfe gelten. Standards beispielsweise, die mit Persönlichkeitsrechten,<br />

Verfahrensschutz, <strong>vor</strong> allem mit Mitwirkungsregelungen zu tun haben. Letztlich<br />

sollte man also weniger von Erziehung reden, sondern ganz klar von den rechtlichen<br />

Normen, welche das Geschehen dann konstituieren – das dann unzweifelhaft des<br />

Sache nach ein Erziehungsgeschehen sein kann, aber nicht muss. Es kann allerdings<br />

der Fall eintreten, in welchem gelten muss, das Recht habe zu bestehen, selbst wenn<br />

die Pädagogik untergeht. Oder noch einmal anders: so gut uns gefallen mag von Erziehung<br />

zu sprechen, dieser Begriff wie die Sache selbst werden sinnlos, wenn nicht<br />

sogar gefährlich, wenn sie nicht ganz klar rechtlich geregelt sind und diese Regelungen<br />

durchgesetzt werden. Die jüngeren Untersuchungen des Deutschen Jugendinstituts<br />

zu den freiheitsentziehenden Maßnahmen haben deutlich gemacht, wie wir überhaupt<br />

nicht anfangen müssen und dürfen von Pädagogik zu sprechen, wenn nicht den öffentlich<br />

gewollten, getragenen und verantworteten Eingriffen in die Lebensführung klare<br />

Rechtsnormen zugrunde liegen, welche auch beachtet werden.<br />

Dies zieht übrigens zwei Konsequenzen nach sich: Auch wenn allerdings und aufgrund<br />

der <strong>vor</strong>liegenden Erfahrungen von einer Pluralität praktischer Konzepte und<br />

Ansätze auszugehen ist, sollten wir – zum einen – außerordentlich <strong>vor</strong>sichtig sein,<br />

unter dem Druck öffentlicher Darstellungen Modelle als pädagogisch hilfreich zum<br />

Maßstab zu machen, die mit den von mir als prioritär geforderten rechtsstaatlichen<br />

Grundsätzen nicht vereinbar sind. Die Untersuchung einer Unterbringung in den Glen<br />

Mills Schools hat eben diese Problematik zutage gebracht (Deutsches Jugendinstitut<br />

2001); sie ist nicht minder gegenüber jener Euphorie geltend zu machen, die sich beispielsweise<br />

an den Erfolgen einer Einrichtung entzündet hat, welche ein strafrechtlich<br />

verurteilter ehemaliger Junkie und Boxer in Hessen betreibt. Wir können diese nicht<br />

zum Maßstab machen. Die zweite Konsequenz mag noch bitterer klingen: Sie lautet<br />

schlicht und einfach: wir sollten eine Strafe als eine Strafe bezeichnen, kluge Ideen zu<br />

ihrer Durchführung entwickeln, aber bitte nicht von Erziehung sprechen; denn um eine<br />

solche kann es schlicht und einfach nicht gehen.<br />

Viertens: <strong>Das</strong>s es die eine Lösung nicht gibt, dass wir vielmehr eine große Bandbreite<br />

von Angeboten benötigen, korrespondiert der möglicherweise bitteren Einsicht,<br />

dass alle Arbeit mit hochbelasteten Kindern und Jugendlichen ohne ein individuelles<br />

Fallverstehen nicht gelingen kann. Die öffentliche Debatte um Erziehung, der pädagogische<br />

Mythos erzeugen den Eindruck, als ob es die typischen Fälle gäbe, welche der<br />

Erziehung schlechthin bedürfen, mithin schematisch bearbeitet werden können. Beides<br />

ist schlicht falsch. Gerade in unserem Feld haben wir es zwar mit Lebenskatastrophen<br />

zu tun, die nicht zu generalisieren sind. Wir müssen zugleich Kindern und Jugendlichen<br />

mit extremen Verhaltensweisen einräumen, dass sie noch darin einen Weg gegangen<br />

sind, den wir zwar rechtlich und moralisch verurteilen mögen, den wir aber<br />

zunächst einmal zu begreifen haben, um kluge Formen des Handelns mit ihnen zu<br />

entwickeln. Obwohl also dem Grundsatz nach für pädagogische Angebote plädiert<br />

wird, müssen wir angesichts der Dramatik der Fälle, angesichts der Grenzen, an welche<br />

sie bringen, einräumen, dass Erziehung in dem angedeuteten sachlichen und fach-

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