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Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?

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ERZIEHUNG SINNLOS? 143<br />

Welt in ihrer Objektivität, also in ihrer Gegebenheit und Verbindlichkeit kennen zu<br />

lernen.<br />

Pädagogische Professionalität schafft – fünftens – den Ort und die Situation, damit<br />

etwas Gemeinsames entstehen kann; man kann dies als Beziehung bezeichnen, doch<br />

warnt die jüngere Forschungsliteratur da<strong>vor</strong>, diesen Begriff zu überfrachten (vgl. Behnisch<br />

2005). Es reicht vielleicht, von einer gemeinsamen Aufgabe zu sprechen, auf die<br />

man sich zu verständigen hat. Systematisch betrachtet stellt nämlich die Welt das entscheidende<br />

Objekt dar. Sie gilt als ein dritter Faktor neben dem Erzieher und (um den<br />

alten Ausdruck als Terminus zu nehmen) dem Zögling, der – darin liegt die Aufgabe –<br />

von den Beteiligten angeeignet werden muss. Genauer gesagt: Sie müssen über die<br />

Elemente und Regeln der Welt so verfügen können, dass sie unabhängig und selbstständig<br />

agieren können. Dahinter verbergen sich drei fundamentale Bedingungen aller<br />

Erziehung: Traditionell ist die erste Bedingung mit Begriffen wie Selbsttätigkeit, später<br />

Subjektivität oder eben Bildung bezeichnet worden, heute können wir einen erweiterten<br />

Lernbegriff aufgreifen, der sich auf die neurophysiologischen Einsichten in die<br />

Entwicklung des Gehirns stützt. Diese fundamentale Voraussetzung aller Erziehung<br />

besagt jedenfalls, dass wir mir Vorgängen der Selbstkonstitution zu tun haben; der<br />

sich entwickelnde und sich verändernde Mensch, allzumal der junge Mensch entwickelt<br />

und verändert sich selbst, auf seine ganz spezifische eigene Art und Weise. Die<br />

zweite Bedingung lautet: gerade weil es um komplizierte und kritische, risikobehaftete<br />

Entwicklungsprozesse geht, benötigen insbesondere junge Menschen schützende Verhältnisse.<br />

Neurophysiologisch wissen wir, dass subjektive Bildung nur gelingt, wenn<br />

keine Bedrohung empfunden wird, wenn <strong>vor</strong> allem Handeln in einer Weise probiert<br />

werden kann, dass Fehler möglich sind. Pädagogische Orte dienen daher als Schutzräume,<br />

in welchem man sich bewegen kann, ohne dass das eigene Tun zwangsweise<br />

zu Ausschließungen führt. <strong>Das</strong> bedeutet, dass professionelle Erzieher (aber übrigens<br />

auch Eltern) sehr viel ertragen müssen. Die dritte Bedingung klingt hier an: Bildung<br />

geschieht nur in Auseinandersetzung mit den Objekten der Welt. Aber: sie gelingt nur<br />

als eine Aneignung, die doch in Handlungen erfahren und erlebt werden muss.<br />

Selbstwirksamkeit ist sozusagen die Probe auf den Aneignungsprozess. Darin liegt die<br />

Tücke des Geschehens: Kinder und Jugendliche müssen handeln können. Einiges<br />

spricht dafür, dass junge Menschen einerseits heute weniger Wirkungserfahrungen<br />

machen, daher geradezu kompensatorisch extrem agieren müssen. <strong>Das</strong>s sie andererseits<br />

aber sogleich mit einer größeren Ernstsituation allzumal in den Folgen ihres Handelns<br />

konfrontiert sind.<br />

Alle drei Bedingungen verlangen, dass es – sechstens – wenigstens ein Minimum<br />

an wechselseitiger Anerkennung gibt. Es gibt hier eine erstaunliche Übereinstimmung<br />

zwischen den älteren Pädagogen und der jüngeren, wiederum neurowissenschaftlichen<br />

Forschung: Die Grundlage der Anerkennung beruht nämlich letztlich auf emotionaler<br />

Zuwendung – wie cool sich auch die Beteiligten geben mögen. Früher sprach man von<br />

pädagogischer Liebe, heute wissen wir, dass die sogenannten Spiegelneuronen und<br />

wohl auch die Spindelneuronen aktiviert sein müssen, um diese elementare Gemeinsamkeit<br />

herzustellen (vgl. Bauer 2006, 2008); welche ihrerseits die Grundlage bildet,<br />

eine gemeinsame Sprache, dann gemeinsam geteilte Erzählungen als Hintergrund<br />

auszubilden, der nachhaltig wirken kann (vgl. Berger 2008).

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