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Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen?

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HACI-HALIL USCULAN<br />

Doch welche Schwierigkeiten und Probleme stehen aus psychologischer Sicht der<br />

Integration entgegen? Bei einer familialen Migration finden Sozialisationsprozesse<br />

nicht nur bei Kindern, sondern in der gesamten Familie statt. Alle Personen der Familie<br />

sind gezwungen, ihr Verhaltensrepertoire zu erweitern, zu ändern und umzuorganisieren.<br />

In dem Maße, indem eine Akkulturation, d. h. ein allmählicher Erwerb der<br />

Standards der Aufnahmekultur erfolgt, findet in der Regel auch eine Entfernung von<br />

den Werten der Herkunftskultur statt; dieser Widerspruch, einerseits zu integrieren,<br />

andererseits aber auch kulturelle Wurzeln nicht auszulöschen, wird bisher von der<br />

Mehrzahl der Migrantenfamilien kaum befriedigend gelöst; noch sind bislang die gesellschaftlich-politischen<br />

Rahmenbedingungen geklärt, wie die Diskussionen um die<br />

deutsche Leitkultur, Zuwanderungsdebatte, doppelte Staatsangehörigkeit etc. sie in der<br />

jüngeren Gegenwart zeigten.<br />

In der Migrationsforschung herrscht Einigkeit darüber, dass die unterstellte allmähliche<br />

Assimilation der Zuwanderer an die Lebensweise der Mehrheitsgesellschaft in<br />

dieser Form nicht haltbar ist; Migranten zeigen sowohl innerhalb ihrer eigenen Gruppe<br />

als auch im Vergleich der verschiedenen Migrantengruppen miteinander unterschiedliche<br />

Akkulturationsstrategien (Phinney, Ong & Madden, 2000).<br />

In ihrer empirischen Studie konnten zum Beispiel Merkens und Ibaidi (2000) zeigen,<br />

dass es deutliche Differenzen zwischen deutschen und türkischen Jugendlichen<br />

bezüglich der religiösen Orientierung gibt: Während Bindung an religiöse Vorgaben<br />

bei türkischen Jugendlichen noch eine Rolle in der Sozialisation spielte, war sie für<br />

deutsche Jugendliche nur marginal. Jedoch war aber auch, entgegen der Annahme,<br />

Religiosität kein Kriterium der eigenethnischen Kategorisierung wie etwa "Moslem<br />

vs. Christ" beim Vergleich mit deutschen. Innerhalb der türkischen Population fa<strong>vor</strong>isierten<br />

Eltern mit einem niedrigen Sozialstatus eher religiöse Erziehungsziele; hier<br />

war deutlich eine Tendenz zum Traditionalismus erkennbar, während Eltern mit einem<br />

höheren Sozialstatus Annäherungen an die Moderne zeigten; d. h. die Orientierungen<br />

an bürgerlichen bzw. modernen Lebensformen wurde nicht in erster Linie durch ethnische<br />

Herkunft, sondern vielmehr durch den Bildungshintergrund determiniert.<br />

B. Soziale Hintergründe des Aufwachsens<br />

Der Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer (Heitmeyer et al., 1995) geht – um jugendliche<br />

Lebenslagen zu deuten – von einem ambivalenten Aufwachsen in der Moderne<br />

aus. Gemeint ist damit einerseits eine generelle Öffnung der Chancen auf Selbstverwirklichung<br />

für Jugendliche, zugleich aber auch eine Verschärfung des ökonomischen<br />

Ungleichgewichts für bestimmte (Rand-)Gruppen der Gesellschaft und eine Erschwerung<br />

der Realisierungsmöglichkeiten dieser Chancen (somit also auch eine Erhöhung<br />

des Frustrationspotenzials). Von den gesellschaftlichen Veränderungen sind türkische<br />

bzw. Migrantenjugendlich stärker betroffen. Sie müssen nicht nur – wie ihre deutschen<br />

Altersgenossen – die nachteiligen Auswirkungen der Individualisierung, der<br />

Beschleunigung des Lebens und der erlebten Anomie etc. bewältigen, sondern müssen<br />

auch noch die positiven Aspekte dieser Individualisierung gegen ihre Eltern durchsetzen,<br />

die eine stärkere kollektivistische Orientierung fa<strong>vor</strong>isieren. Denn bei der türkischen<br />

Jugend kommt erschwerend hinzu, dass hier Generationen- und Kulturkonflikt

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