Konzeptuelles und prozedurales Wissen als latente Variablen: Ihre ...
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Die Unterscheidung von konzeptuellem <strong>und</strong> prozeduralem <strong>Wissen</strong> 85<br />
Von zentraler Bedeutung ist hier das triple code model von Stanislas Dehaene (z.B.<br />
1992; 1999). Ihm zufolge werden numerische Größen in drei verschiedenen<br />
Repräsentationsformaten gespeichert: dem visuell-arabischen Format („4“), dem auditivverbalen<br />
Format („vier“) <strong>und</strong> dem analogen Format, dem so genannten mentalen<br />
Zahlenstrahl. Während diese drei Repräsentationsformate beim Lösen mathematischer<br />
Probleme gewöhnlich eng ineinandergreifen, konnte Dehaene sie durch geschickte<br />
experimentelle Manipulationen isolieren <strong>und</strong> ihre jeweils spezifischen Eigenschaften<br />
nachweisen. Weitere Evidenz stammt aus klinischen Studien mit Läsionspatienten, bei<br />
denen dieses Repräsentationssystem teilweise beschädigt war (Überblick bei Dehaene,<br />
Dehaene-Lambertz, & Cohen, 1998).<br />
Für die Existenz eines mentalen Zahlenstrahls sprechen vor allem der distance effect<br />
<strong>und</strong> der SNARC (spatial-numerical association of response code) effect. Ersterer zeigt<br />
sich, wenn Probanden mehrere nacheinander auf einem Bildschirm präsentierte Zahlen<br />
daraufhin beurteilen sollen, ob sie jeweils größer oder kleiner <strong>als</strong> ein Referenzwert sind.<br />
Die Reaktionszeiten der Probanden sind dabei umso kürzer, je weiter die jeweils zu<br />
beurteilende Zahl vom Referenzwert entfernt ist, wobei sie einer exponentiell abfallenden<br />
Funktion folgen. Dieser kontinuierlich verlaufende Effekt kann durch die anderen beiden<br />
diskret-symbolischen Repräsentationsformate nicht erklärt werden, sondern nur durch eine<br />
zusätzliche analoge Repräsentationsform (z.B. Dehaene, Dupoux, & Mehler, 1990).<br />
Dass ein solcher mentaler Zahlenstrahl von links nach rechts verläuft, zeigt der<br />
SNARC effect. Probanden haben dabei Zahlen anhand vorgegebener Eigenschaften zu<br />
klassifizieren. Beispielsweise könnten sie aufgefordert sein, bei geraden Zahlen stets eine<br />
Taste am Computer zu drücken <strong>und</strong> bei ungeraden eine andere. Dehaene zeigte, dass<br />
Probanden unabhängig von der Aufgabe auf kleine Zahlen schneller mit der linken Hand<br />
<strong>und</strong> auf große Zahlen schneller mit der rechten reagieren. Dies lässt sich nur schwer durch<br />
diskret-symbolische Repräsentationsformate erklären, relativ zwanglos jedoch durch die<br />
Annahme der Links-Rechts-Orientierung eines mentalen Zahlenstrahls (Dehaene, 1993).<br />
Dehaene <strong>und</strong> Akhavein (1995) konnten zeigen, dass bei den meisten Probanden im<br />
visuell-arabischen oder im auditiv-verbalen Format präsentierte Zahlen automatisiert in das<br />
analoge Format umgewandelt werden. Dieser Effekt war automatisiert in dem Sinne, dass<br />
er auch dann auftrat, wenn die semantische Größe der Zahl <strong>und</strong> somit die analoge<br />
Größenrepräsentation zur Lösung der Testaufgaben irrelevant war.<br />
Es ist vorstellbar, dass die Fähigkeit, die semantische Größe numerischer<br />
Informationen aus verschiedenen Repräsentationsformaten automatisiert ableiten zu<br />
können, sich im Kontext des Mathematiklernens positiv auf den Erwerb konzeptuellen