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Und nach den Ferien mache ich eine Beatband auf

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Mit kreischenden Bremsen hält alsbald ein Jeep der Bruderarmee. In Windeseile

springen vier sowjetische Offiziere heraus und versuchen die Türen der Opponenten

zu öffnen. Doch die haben sich eingeschlossen. Jetzt wird das Automobil mittels einer

Zeltplane abgedeckt. Nichts geschieht. Auch nach zehn Minuten nicht. Nach einer

halben Stunde fährt ein wuchtiger Dieselgabelstabler vor und nimmt kurzerhand die

Eindringlinge an der Flanke hoch. Nun werden die Provokateure auf den Gabeln zum

nächsten Tor gebracht, dort abgestellt und die Plane entfernt. Hier beenden sie ihren

Schelmenstreich und fahren von dannen. Dem Micky geht es hierauf gehörig an den

Kragen. Erst einige Wochen zuvor war er dem Politoffizier Hauptmann Ninnemann

negativ aufgefallen. Mit seinem Zug marschierte Micky zum abendlichen Essenfassen.

Hier wurde Marschgesang angestimmt. »Spaniens Himmel breitet seine

Sterne« drang aus den Kehlen der Soldaten. Die Textzeile »Freiheit!« wurde hierbei

besonders voluminös intoniert. Sie hatten den Speisesaal noch nicht erreicht, schon

wurde der Trupp durch Oberstleutnant Bastian gestoppt. Stiernackig, rothaarig,

breitbeinig, die Arme in die Hüften gestemmt. Mit einer prächtigen Wampe über

der Stiefelhose schnauzte er den eskortierenden Unteroffizier an: „Lassen sie

augenblicklich den Sauhaufen anhalten!“ Den verdutzten Soldatengesichtern gab

er weiter zu verstehen: „Euer Gesang zieht mir ja die Stiefel aus! Das Ganze tritt

augenblicklich weg und meldet sich in einer Stunde hier an Ort und Stelle zurück. Mit

einem anständigen deutschen Volkslied!“ Der Trupp, dem das Abendessen an diesem

Tag verwehrt blieb, fand sich bald darauf auf dem Flur der Kompanieunterkunft

wieder. Da mittlerweile Regen einsetzt hatte, fand hier das Gesangstraining

statt. Micky musste sich bewaffnet mit einer akustischen Gitarre, am UvD-Tisch

postieren. Hier brachte er seinen auf der Stelle marschierenden Kameraden das neu

einzustudierende Liedgut näher. Dieses entstammte einem FDJ-Liederbuch, welches

sich im Regal des Kompanieklubs finden ließ. Mit einem »Schwarzbraun ist die

Haselnuss« auf den Lippen marschierten sie dann erneut an jenem kunstkritischen

und bereits auf sie wartenden Oberstleutnant vorüber. Der zeigte sich hocherfreut

und war des Lobes: „Na bitte, das ist doch mal was Nettes! Das hat Schmiss!“

Als am nächsten Morgen die Kompanie zum Frühstück ausrückte, mit eben diesem

Lied im Gepäck, ist es Hauptmann Ninnemann, der aufgelöst seinen Kämpfern

hinterher spurtete und wütend schrie „Sofort aufhören damit!“ Wiederum musste

das Ganze haltmachen. Augenblicklich wollte er wissen, welcher Verbrecher für die

Auswahl dieses Marschliedes zuständig sei. Nun fielen alle Blicke auf Micky, der auch

gleich vor dem Politoffizier strammzustehen hatte. Der Hauptmann brüllte weiter:

„Was fällt ihnen ein Soldat Hennemann, ein Lied zu wählen, dass die faschistische

Wehrmacht auf den Straßen des von ihnen besetzten Europas sang?“ Er steigerte

sich: „Wissen sie nicht, dass meine Eltern im Konzentrationslager ermordet wurden?!

Ziehen sie sich warm an: Ich bringe sie vor die Militärstaatsanwaltschaft!“ Micky,

sich das Kinn reibend, suchte nach einer Entschuldigung. Er wollte entgegnen, dass

ja auch der übernommene Stechschritt der Wehrmacht auf eine gewisse Tradition

verweist. Doch er biss sich auf seine Zunge.

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