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1976/77: Die Armee
Lieber erwähnte er das aus das aus dem Klubraum stammende, Liederbuch der FDJ.
Sein Gegenüber konnte es wenig später, das Büchlein in den Händen haltend, kaum
fassen, als er darin den Text der »Haselnuss« fand. Nun klärte sich alles auf. Die
Ausgabe stammt aus dem Jahr 1958 und zu diesem Zeitpunkt hatten die Ideologen
es noch nicht indiziert und verbannt. Die Mannschaften wurden durch sofortigen
Befehl, mit einem Aufführungsverbot belegt.
Soldat Hennemann hat erneut Wachdienst. Es ist tiefe Nacht und er sitzt
mutterseelenallein am Schreibtisch des KDL-Büros. Vor ihm liegt eine Telefonliste
sämtlicher Truppenteile des Oberkommandos. Listigerweise greift er sich den Hörer
und wählt die erste Nummer. Es meldet sich der UvD der Nachrichtenkompanie.
„Hier ist Oberst Katzer,“ gibt Micky ihm zu verstehen, „ich brauche unverzüglich ihre
Mannschaftsstärke!“ Worauf ein strammes „Sofort Genosse Oberst!“ zurückkommt.
Keine zehn Sekunden später erfüllt er den Befehl: »4/15/38«. Damit kann Micky
natürlich etwas anfangen. Jene Zahlenkombination verrät das momentan 4 Offiziere,
15 Unteroffiziere und 38 Soldaten sich in der Einheit befinden. Genosse Katzer
macht sich seine Notizen, wünscht eine Nacht ohne Vorkommnisse und wählt die
nächste Nummer. Nach 20 Minuten besitzt er die komplette Gefechtsstärke des
Oberkommandos der Landstreitkräfte der Nationalen Volksarmee. Diese Daten dem
Klassenfeind zukommen zu lassen, wagt er natürlich nicht.
Micky steht am KDL, als ein aufgebrachter Förster mit umgehängter Bockflinte am
Tor auftaucht. „Das geht jetzt nicht mehr so weiter!“ ruft er schon von Weitem.
Er verschafft sich Luft: „Ständig werden Kuhlen in meinem Wald gebuddelt. Das
muss ein Ende finden!“ Für die Entgegennahm seiner Beschwerde sei er nicht der
rechte Ansprechpartner entgegnet Soldat Hennemann. Darum hält er telefonisch
Rücksprache mit dem Stab. Den Grünrock gefälligst abwimmeln, gibt man ihm zu
verstehen. Immerhin hat die Ausbildung ja schließlich so gefechtsnah wie möglich
zu sein, was auch das Ausheben von Schützenmulden erfordert. Doch damit
gibt sich der Waidmann keineswegs zu Frieden und greift bereits bedenklich zu
seinem Gewehrriemen. Ein Duell will er nicht riskieren und so gibt Micky ihm die
Wegbeschreibung zum Stabsgebäude.
Ende Oktober 1976 bringt ein Militärbus den Micky nach Brandenburg-
Hohenstücken. Sein letztes Jahr als Uniformierter wird er hier verbringen. Gleich
hinter dem Kasernentor wird er abgesetzt. Er läuft zum 3. Battailon, wo im obersten
Stockwerk das Pack untergebracht ist. Dort hat er sich zu melden. Als er diese
Informationen erhielt, zeigte er sich recht verwundert. Assoziierte er doch mit dem
Terminus »Pack« eine Strafkompanie oder weitaus Schlimmeres. Wohin nur soll er
abgeschoben werden?! Micky fragt sich durch und steigt schließlich die Treppen
hinauf. Hier oben trifft er niemanden an. Die Unterkünfte sind ohne Mobiliar. Auf
dem Flur hängt eine Wandtafel, überschriftet mit »PAK«. Sie zeigt Gliederung und
Struktur einer PanzerAbwehrKompanie. Doch die scheint ausgeflogen zu sein. Er
spurtet runter zum Erdgeschoss, wo der GUvD zu verstehen gibt, dass das Regiment
seit gut einem Jahr nicht mehr über diese Kompanien verfügt. Micky ist ratlos.
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