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Micky lebt auf und spielt die aktuellen Hits. Sogar Nachrichten und Wetterberichte
spricht er. Doch die Reichweite seiner Rundfunkstation ist nicht der Rede wert. So
tut er sich mit seinem Mitschüler Jürgen Schulze aka DJ Pepsi zusammen. Der wohnt
in einem der Neubaublöcke des Schönebecker Malzmühlenfeldes. Das hält Micky
für günstig. In dessen Kinderzimmer klemmen sie nun als Antenne den Sender an
die Heizung. Durch die Heizungsrohre sind nämlich sämtliche Wohnungen der
Neubauten verbunden, Stichwort Fernheizung. Als Mikrofon dient ihnen jetzt ein
größerer Lautsprecher, es klingt um einiges besser. Fast täglich funken sie nun ihre
Programme auf 935 kHz. Auf dieser Frequenz ist der »Deutsche Soldatensender«
beheimatet. Unmittelbar nach Beendigung dessen Mittagssendung melden sich
Micky und Jürgen. Darauf warten schon ungeduldig viele Freunde und Bekannte,
die in diesem Wohngebiet zuhause sind. Natürlich geben sie positive Resonanz
und warten fortan mit Musikwünschen auf. Fast zeitgleich existiert in Thüringen
ebenso ein Piratensender. Aber dies wird Micky erst acht Jahre später erfahren. Von
einem Soldaten während seiner Armeezeit. Als Zivilist ein Elektroniker, wird er von
einer leistungsstarken Station in Erfurt berichten. Überall in der Innenstadt war sie
mit auffallend gleicher Intensität zu hören. Die Funkpeilwagen der Deutschen Post
versagten damals kläglich und keinerlei Ortung war durchführbar. Listenreich waren
die Betreiber: Als Antenne nutzten sie die Hochleitungen der Straßenbahn.
Zum Frühjahrsrummel findet sich Micky zusammen mit Freunden im Schönebecker
Streckenweg ein. Es sind nicht die Karussells, die ihn dorthin und in ihren Bann ziehen.
Nein, es ist deren Musik. Von einer Tonsäule hört er mit einem Gänsehautgefühl
»Satisfaction« von den ROLLING STONES. Nach Ende des Titels begibt er sich
zum Kassenhaus, in dem man für die Musik zuständig ist. Ergriffen erkennt Micky
auf dem Teller des Plattenspielers noch die Single. Gern würde er den Song noch
einmal hören. Er wird vertröstet. Wartet dennoch gern, während seine Begleiter ihre
Zeit an der Schießbude verbringen. Als endlich sein »Wunschhit« gespielt wird, fühlt
er sich vom Blitz getroffen. Irgendetwas blickt in sein Innerstes. Es drückt genau das
aus, was er fühlt. Diese Musik hat ihn entjungfert.
Nun macht Micky sich vertraut mit der Beatmusik. Seine ganz persönlichen
Sommerhits sind »Give Peace A Chance« von der PLASTIC ONO BAND, »Birthday«
von den BEATLES, »Party Line« von den KINKS und »Ma Belle Amie« von den
TEE SETS. Auf nationaler Ebene tut sich so gut wie nichts. Nur träge gründen sich
in dieser Richtung die Bands. So hatte doch drei Jahre zuvor der Ulbricht-Staat seine
erste große Attacke gegen die »Revolution des Beat« geführt. Im Herbst 1965 sandte
die Stasi ihre Spitzel aus, um systemkritische Musikerkreise zu »zersetzen« und gegen
Gruppierungen »Jugendlicher mit dekadenten Lebensauffassungen« vorzugehen.
Die Staatsführung der DDR reagierte auf den Beat im Stile eines patriarchalischen
Vaters, der seine Kinder gewaltsam zwingt, sich an seine Anweisungen zu halten.
Originalton der DDR-Presse: »Mehrere Gitarrengruppen ahmen mit Vorliebe die
Praktiken westlicher Bands nach. Bereits der amerikanisierte Name, den sie sich
gegeben haben, weist darauf hin, wessen Geistes Kind sie sind.
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