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1998: Gottes Vieh
Beim Intro dann zerfetzt ein deftiges Feedback die Harmonien der Keyboards. (Auch
sie dürfen heute nur in Mono spielen.) Was danach kommt, hat mit dem zwanzigsten
Jahrhundert herzlich wenig zu tun. Das Volumen des Monitoring schwächelt. Man hat
auf der Bühne so gut wie keine Kontrolle. Sie befinden sich in einem musikalischen
Blindflug. Hierbei ist es dienlich, dass Klaus ein paar Gitarrengriffe beherrscht und
den vier Meter entfernt stehenden Micky auf die Finger schauen kann. So bringt er
immerhin visuell in Erfahrung, an welcher Stelle des momentan gespielten Songs
sie sich befinden. Bei »Little Satellite« setzt dann die Gitarre definitiv aus. Den
darauffolgenden Titel brechen sie rigoros ab, bedanken sich nett bei der Tonregie und
wünschen dem Headliner viel Glück. Die tontechnische Niederlage ihres Auftrittes
verkraften die Mitglieder der Band recht unterschiedlich. Frontmann Thomas
konsumiert etliche »Kümmerling«-Fläschchen. Auf der Heimfahrt muss der von
seiner Frau gesteuerte Wagen zweimal zwecks Nothalt die Fahrt unterbrechen: Ihm
läuft sein Magen in den Mund. Der Rest verharrt und wertet dieses Fiasko bis früh
um drei im Schönebecker Stammlokal aus.
Während einer Probe wird Thomas von den Anderen intensiver als sonst besehen.
Irgendetwas stimmt heute nicht. Ja klar, in seinem Gesicht ist keine Brille zu
entdecken! Ein Rocksänger trägt so etwas nicht und darum bedient er sich ab sofort
unauffälliger Kontaktlinsen. Das Manko hierbei ist, dass diese nur einige Stunden zu
gebrauchen sind. Der Hergang des Abends stellt es unter Beweis: Der Brillenersatz
trübt sich mehr und mehr ein, so dass Thomas bald nicht mehr die vor ihm liegenden
Songtexte erkennt. Im Endeffekt fingert er sich die Schalen aus den Augen und steckt
sich seine Brille auf die Nase. Klaus erzählt an dieser Stelle vom Bassisten seiner
ehemaligen Band, Heinz v. Dolsberg. Auch er war zu eitel seine Brille zu tragen.
Irgendwann ging es zum Gig nach Irgendwo. „Heinz, du wirst so gegen 16:00 Uhr
abgeholt.“ hatte es geheißen, und überpünktlich stand er vor der Haustür. Fixiert auf
den weißen Pkw seines Bandkollegen, sah er die Straße hinunter und konnte ein sich
näherndes Auto dieser Farbe ausmachen. Er begab sich zur Fahrbahn und winkte
dem Wagen zu, worauf dieser auch zum Halten kam. Heinz stieg ein, sagte Tach und
schon steuerten sie von dannen. Nach fünfminütiger Fahrt erkundigte sich Heinz,
wo es denn hinginge heute. Der recht verunsicherte fahrer stellte seine Gegenfrage:
„Wohin willst du denn?“ Jetzt blickte der verwirrte v. Dolsberg direkt in ein Gesicht,
dass er noch nie zuvor gesehen. Er wurde für einen Tramp gehalten, wurde ihm nun
klar. Er klärte die Verfehlung auf, entschuldigte und bedankte sich. Schnurstracks
ließ er sich retour kutschen. Peinlich. Nicht noch einmal. Mit Brille wäre das nicht
passiert.
Es an der Zeit, sich über ein Bandplakat Gedanken zu machen. Micky entwirft per
Computer eine Bildcollage. Hierfür fotografierte er eine Tür in der Ortschaft Krippen
und das fratzenhaften Antlitz eines steinernen Sonnengottes auf dem Bernburger
Schlosshof. Ein Plakat sollte die Neugier herausfordern. In dem er noch eine
Wasseroberfläche einfügt, bringt es Andi zur druckreifen Vollendung.
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