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Und nach den Ferien mache ich eine Beatband auf

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1977/78: Team 77

All diese Handgriffe sind für das kleine, dürre Männchen ein Martyrium. Erst

kürzlich lehnte erneut die Krankenkasse seinen Antrag für eine Kurverschickung

ab. Hingegen bekommt der technische Direktor der Firma, ein Kerl wie ein Baum

und in der entsprechenden Partei, jährlich einen Aufenthalt genehmigt. Otto war nur

in Stalingrad und anschließend in russischer Kriegsgefangenschaft. Praktizierter

Sozialismus. So erfährt Micky aus Ottos Leben ein denkwürdiges Geschehnis.

Kurz vor dessen Entlassung aus der Gefangenschaft ließ er seine Ehefrau in einem

Brief die Details um seine Ankunft wissen. Doch am besagten Tag erwartete ihn

niemand auf dem Bahnsteig des Magdeburger Hauptbahnhofs. Mit einem bangen

Gefühl erreichte er des Abends schließlich Schönebeck, seine Heimatstadt. Hier

stieg er die Stufen zu seiner Wohnung in der Boelkestraße Nummer vier empor.

Vorsichtig öffnete er die nur angelehnte Tür. Es sind seine zwei Kinder, die ihm im

Flur gegenüberstehen. Ergriffen schloss er den Buben und das Mädel beide keine

zehn Jahre alt, in seine Arme. Nachdem sein Tränenfluss versiegte, sah er sich

um: Nicht ein Möbelstück, nur Dielen und Tapete! Die Mutter sei am Vormittag

mit einem fremden Onkel fortgefahren, erfährt er nun. In einem Möbelwagen mit

unbekanntem Ziel. Er wird seine Frau nie wieder sehen. Und er wird Sohn und

Tochter allein großziehen. 150 Tage vor Antritt seines Ruhestandes beginnt er den

ersten Zentimeter eines Bandmaßes abzuschneiden. Er trägt es stets am Mann. Jeder

Zentimeter ein Tag. Otto Tarrach kommt bis Nummer 45.

Erwin und Micky bestreiten den musikalischen Part einer Jugendweihefeier in

der Gaststätte »Zur Tanne« in Biere. Der Vater des Vierzehnjährigen hat mächtig

zugelangt. Sein alkoholisches Limit ist bereits gegen 22 Uhr erreicht. Da fällt dem

»Blauen«, so wird der Rotschopf samt seiner sechs mit Haaren gleicher Farbe

bestückten Ableger im Dorf betitelt, etwas ein. Seine Ziege im häuslichen Stall muss

noch gemolken werden! Er wankt dann auch los und kehrt nach einer guten Stunde

zurück. Nicht nur dem Micky fallen jetzt die am Rückenteil seiner Anzugsjacke

befindlichen Stroh- und Kotpartikel auf. An seinem Hosenbein sind Rückstände

getrockneter Ziegenmilch zu gewahren. Dem Anschein nach muss er während des

Melkens der Länge nach im Stall zu Fall gekommen sein. Durchaus vorstellbar wäre

noch ein kleines Nickerchen zu Füßen seines Paarhufers. Jetzt ist er wieder obenauf,

greift sich seine Frau und dreht zünftig Runden auf der Tanzfläche.

Jürgen Tiemann verrät dem Micky eine burleske Anekdote: Zusammen mit Erwin

spielte er vor Jahren im Kasino der Sowjetischen Garnison in Salzelmen. Die

Stimmung an jenem Abend war mehr als ausgelassen, denn ihre Musik gefiel den

Rotarmisten. Insbesondere aber lag es am Wodka, der an diesem Abend nicht zu

knapp ausgeschenkt wurde. In jeder Tanzpause, also alle 10 bis 12 Minuten, kamen

einige Offiziere auf die Bühne und warteten mit mehrere Tabletts dieser Spirituose

auf. Man wollte sich für die künstlerische Leistung bedanken. Mit einem herzlichen

„Nastrovje!“ wurden die Musikanten aufgefordert, behende die Gläser zu leeren.

Hierbei zog es der Jürgen vor, den Inhalt seines Glases in eine größere Blumenvase

zu schütten. Natürlich ganz unauffällig.

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