20.09.2021 Aufrufe

Und nach den Ferien mache ich eine Beatband auf

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Zurück in den Herbst 1989. Es sind bewegende Zeiten. Das Volk vermag nicht mehr

stillzuhalten und endlich macht es sein Maul auf. Das kommt dem Micky gerade

recht. Seit längerer Zeit steht er mit der Obrigkeit seines Landes auf Kriegsfuß. So

beteiligt er sich an den Demonstrationen und fertigt Plakate. Er erhebt sich als erster

während einer Protestveranstaltung im völlig überfüllten Saal des Schönebecker

Stadtparks zu stehender Ovation: Der geschlossene Rücktritt der DDR-Regierung

wird verkündet. Er ist in seinem Element. Auf dem Hof der Katholischen Kirche

stellt sich das »Neue Forum« vor, um seine An- und Absichten zu definieren. Beim

Satz „Wir wollen nicht die deutsche Einheit!“ bedenkt Micky dann den Sprecher mit

einem verbalen Buh. Umgehend bekommt er von einigen Beiwohnenden Schläge

angedroht.

Günter hat einige hohle Zähne und die stinken gewaltig. Seine übermächtige Angst

vor einem Zahnarzt wird vorerst auch keine Abhilfe schaffen. In seinem Mund

scheint sich eine Abdeckerei zu befinden. Auf der Probe in der kleinen Waschküche

steht Micky ihm gegenüber. Und jedes Mal wenn Günter mit dem Gesang einsetzt,

weht in Mickys Richtung eine unerträgliche Brise.

Das nächste Jahr, das der deutschen Wiedervereinigung, wird die Auflösung der

Band mit sich bringen. Vorerst werden die Musiker mit den verstärkt auftretenden

Depressionen ihres Organisten konfrontiert. Man weiß damit umzugehen, doch

bisweilen eskalieren die psychischen Eskapaden eines Wolfgang Maders. So weigert

er sich rigoros als es gilt, einen Gig in den »Alten Bundesländern« zu verwirklichen.

Als strammer Marxist, welcher bei weitem nicht alles guthieß was sich in seinem

Vaterland zutrug, verwehrt er seinen Füßen kapitalistisch-imperialistischen Boden.

Eine Ausnahme verzeiht er sich und holt sich das ihm zustehende »Begrüßungsgeld«.

Mittels dieser DM 100,- leiht sich die Band eine Videokamera. Am 10. Februar

1990 entsteht der erste TEAM 77-Videoclip in Form eines Livemitschnittes einer

Faschingsfete, im Calbenser »Roland«.

Am 5. März stirbt Gottes Vieh Ex-Bassist Ronald Glatzel. Sein Astma, dass er

seit Jahrzehnten mit sich herumschleppt, lässt seinen Kreislauf kollabieren. Ganz

plötzlich. Auf dem Heimweg von der Firma. 50 Meter vor seiner Haustür.

Die Welt nebst ihrer politischen Unordnung um sich herum nicht mehr verstehend,

häufen sich Wolfgangs Neurosen. Es kommt zu seiner Einweisung in die geschlossene

psychiatrische Abteilung der Magdeburger Medizinischen Akademie. Micky stattet

dieser einen Besuch ab. Er spendet dem Taster Seelenheil und ist bemüht ihn wieder

aufzubauen. Ihm gegenüber gibt er eine illustre Geschichte zu Protokoll. Er erzählt

von einem Typen, der ohne Arme und Beine, ohne Rumpf und ohne Kopf zur Welt

kam. Dadurch war er blind, taub und gehbehindert. Nicht genug damit. Er wurde

als Kind viermal vergewaltigt, seine Eltern starben als Opfer eines Verkehrsunfalls

und später hat ihn seine Frau wegen einem Bodybuilder verlassen. Er war stumm

und lachte trotzdem den ganzen Tag. Nur durch die Kraft des positiven Denkens.

Die Gruppe braucht aber ihren Keyboarder und Jürgen und Micky sind es, die den

dringlich für eine Veranstaltung benötigten ebenda herausholen.

157

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!