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1973: Gottes Vieh
Klaus setzt hier sein neues blau-weiß-grau-meliertes Trowa-Schlagzeug ein. Das
hat er von Peter Klink, einem in der Nachbarschaft wohnenden Tanzmusiker.
Ronnie »jagt« seinen Migma-Bass, er besitzt die identische Korpus-Form wie
Mickys Gitarre, über einen MV 3. Den Gesang schicken sie letztendlich über einen
Vierkanalverstärker und zwei 2x12 Boxen.
Gern folgen Klaus und Micky ihren Erkundungsdrang. Vor den Proben
durchstreifen sie oftmals die alten Gemäuer des Burghofs. Vom Dachboden führt
eine Wendeltreppe hinab in das umfangreiche Areal des Kellers. Im Treppenhaus
studieren sie Schnitzereien mit lateinischen Texten, welchen Inhalt sie auch immer
haben mögen. Überall saugen sie Philosophie und Mystik auf. Im 1. Stock ist das
Schönebecker Stadtarchiv untergebracht und nur mittwochs ist hier der Archivar
zugegen. Der Schlüssel liegt unter dem Fußabtreter. Am 16. Juni schmökern sie
hier in alten Kirchenbüchern und sichten alte Gemälde. Sie durchsuchen Regale
und Schränke und finden Unmengen an Objekten aus dem 3.Reich. Kriegsflaggen-,
Winterhilfswerk-, sowie RAD-Anstecker und Kartons mit Aufnähern der Wappen
Pommerns, Schlesiens, usw.
Micky: „Diese brisanten Dinge wechselten rasch das Besitzverhältnis und wir
kamen so zu mancher Mark, Natürlich war das verboten.“
Ronnie, Klaus und Micky arbeiten bestens in ihrer »Dreieinigkeit«. Niemand braucht
seine Autorität hervorzuheben. Jeder bewegt sich in vernünftigen Normen. Es gibt
zwischen ihnen kein Misstrauen und keine Vorbehalte. Wahrscheinlich ist das die
einzige Möglichkeit eine große Aufgabe ohne subjektive Komplikationen vernünftig
anzupacken und zu beenden.
Der Ronnie ist schon ein wenig kauzig. Sind die drei im Salzelmener Kurpark
unterwegs, bewegt er sich im »Urlaubsschritt«: Den Oberkörper leicht nach vorn
gebeugt, verfällt er in eine betont langsame Bewegung, während er die Hände hinter
dem Rücken verschränkt. Natürlich ist den anderen dies mehr als peinlich und in
solchen Stuationen beschleunigen sie ihre Schritte und lassen ihren »Opi« einige
Meter hinter sich. Hat Ronnie etwas über den Durst getrunken, wird er todesmutig.
Dicke Zigarren raucht er dann auf Lunge, sich einen Teufel darum scherend, dass er
seit seiner Kindheit gegen ein Astma zu kämpfen hat.
Im Juli wird der Dachboden zur Sauna. Den Jungs läuft der Schweiß. Aus Familie
Glatzels Küche holen sie sich einen Eimer mit kühlem Nass aus dem Wasserhahn. In
diesem schwimmt ein Halbliter-Bierglas, mit dessen Hilfe sie ihren Durst löschen.
Jörg »Jokel« Schröder probiert sich nun als Sänger bei Gottes Vieh. Er trägt ein
Eisernes Kreuz um seinen Hals und mit freiem Oberkörper macht er auf »Dicker
Max«. Nach zwei Wochen löst ihn Ulli Schumann ab, aber so richtig will auch der
nicht funktionieren.
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