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Während er konzentriert das Bühnengeschehen beobachtet, tritt ein älterer Herr an
den Tisch. „Herr Musikdirektor, dürfte ich eventuell mit ihrem Fräulein Tochter
tanzen?“ ist sein Anliegen. Die Verwechslung klärt sich auf und er, peinlich berührt,
verschwindet in der Tiefe des Saales.
Wohl registriert Micky die Probleme des Vaters mit dessen Orchester. So sitzen eines
Samstagvormittags die Streicher bei einem zünftigen Frühschoppen beisammen
und schauen beachtlich tief in die Biergläser. Es sei bemerkt, dass die Musiker sich
in zwei Fraktionen spalten. Das Lager der Trompeter, Hornisten und Posaunisten,
sowie das der Violinen, Bratschen und Celli. Um fünfzehn Uhr beginnt jedenfalls
das Kurkonzert auf dem Bansiner Pavillon an der Strandpromenade. Alle Anzeichen
deuten darauf hin, dass die Streicher diese zwei Stunden nicht ordnungsgemäß
durchstehen werden. Aus diesem Grund tritt ihr Sprecher, der Kontrabassist Walter
Tolsdorf, an seinen Musikdirektor heran. Seine Bitte, bei der Titelauswahl doch
mehr die Blasinstrumente zu berücksichtigen, wird abgelehnt. Herr Henemann kennt
kein Erbarmen. Getreu seiner Devise »Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps«,
sucht er gerade die kompliziertesten Stücke heraus. Und wehe einer blamiert den
Klangkörper! Micky ist pünktlich vor Ort. Dieses Spektakel möchte er sich nicht
entgehen lassen. Bei der ersten Nummer, dem »Wiener Blut«, lässt der taumelnde
Bassist seinen Bogen fallen. Hörbar fängt dieser daraufhin an zu lachen und geht in
die Knie. Mit der rechten Hand versucht er ihn wieder aufzuheben, in der anderen
hält er das Instrument. Die Balance verlierend grenzt es schon an ein Wunder, dass er
nicht der Länge nach samt Kontrabass, hinstürzt. Einem Violinisten entgleitet beim
Umblättern eines seiner Notenblätter. Dies wird von einem einstimmigen Gelächter
begleitet, und segelt vor die Füße des Diri-genten. Dem ist es augenscheinlich mehr
als peinlich. Mit Blicken versucht er seine »Saitenquäler« zu töten. Das Desaster
wird am nächsten Tage ausgewertet: Es hagelt Verweise.
Am 30. August endet der Urlaub. Familie Hennemann begibt sich punkt 4:00 Uhr
auf die Heimreise. Der Vater ist Lademeister und verstaut das viele Gepäck in
den kleinen Trabant 500. Die Stimmung ist etwas gedrückt, sind doch die tollen
Tage vorüber. Recht passend zur Melancholie dieser frühen Stunde, spielt Mickys
Kofferradio »Rainbow« von THE MARMALADE. Doch er blickt nach vorn und ja,
er will eine Band gründen.
In der Tat soll für ihn die Epoche des Musizierens beginnen, die des Vaters wird ein
jähes Ende finden. Bereits am 5. Dezember 1969 wurde vom Bezirkstag Magdeburg
eine sogenannte Beschlussvorlage auf dem Weg gebracht: »Der Rat des Bezirks
wird beauftragt, in Übereinstimmung mit den örtlichen Volksvertretungen des
Kreises Schönebeck zur Erhöhung der Effektivität des Veranstaltungswesens und
zur Schaffung beispielhafter Programme der sozialistischen Unterhaltungskunst ab
1971 bei dem bezirksgeleitetem VEB Konzert- und Gastspieldirektion ein staatliches
Ensemble der Unterhaltungskunst des Kulturorchester Mittelelbe zu bilden.
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