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Schon am Frühstückstisch startete er ordentlich durch: Zwei weich gekochte Eier.
Schwarzbrot mit Eieraufstrich. Vom Buffet eine große Schüssel Eiersalat und zwei
Stück Eierschecke zum Kaffee. Mittags dann den besagten Eierkuchen mit Eischnee.
Vor diesem aber zwei Teller Eierflocken- bzw. Eierstichsuppe. Zum Dessert Eier mit
Schnittlauch in Aspik. Sein Abendbrot schließlich wie folgt: Eier-Graupen-Suppe
als Vorspeise, danach verlorene Eier in Senfsoße mit Salzkartoffeln. Vom Buffet mit
Meerrettich gefüllte Eier, bzw. Eier im Nest oder mariniert. Schließlich zwei Gläser
Eierpunsch. Ging es des Abends auf die Bühne, hatte er noch eine große Flasche Eierlikör
am Mann. Irgendwann und irgendwie ist er dann nicht mehr in dieser Band.
Nun schlägt er sich als selbst ernannter Intendant von »Radio Buckau« durch. Es
soll etwas Großes werden, mit dieser privaten TV-Station. Auf fast jeder wichtigen
Magdeburger Party ist Harry präsent. Mit Camcorder oder Diktiergerät interviewt er
hunderte von Charakteren. Ob Bürgermeisterkandidat oder die schockierten Fahrgäste
der Linie zwölf. (so setzt er einfach und das im Februar, ein »Oben-ohne-Mädchen«
in den Straßenbahnwagen) Früh um zwei Uhr steht er betrunkenen Neonazis auf
dem Magdeburger Hauptbahnhof gegenüber. Völlig skrupellos. Oft sind Harry und
Micky in der Otterslebener Livemusikkneipe »Mancho Pancho« anzutreffen. Lutz
Winkler ist hier der Wirt, der Trommler von Reggae Play. Schließt das Lokal um drei
Uhr in der Frühe, geht es in dessen Privatküche weiter. Gegen acht Uhr, die Sonne ist
mittlerweile aufgegangen, schläft man sich in Harrys Wohnung in der Magdeburger
Hopfenbreite aus. In einer anderen Gasstätte auf der Leipziger Chaussee kann Micky
gewahren, dass Harry ein guter Bekannter der am Nachbartisch sitzenden Faschos
ist. Einige von ihnen tragen an ihren Bomberjacken Aufnäher mit dem Reichsadler,
eingefasst mit einem »Ich bin stolz ein Deutscher zu sein«. Eier-Harry unterbreitet
ihnen lauthals die Idee, seinen eigenen und persönlichen Sticker fertigen zu wollen.
Anstelle des Adlers ein Hasenkopf, versehen mit dem Satz: »Ich bin stolz ein Harry
zu sein.« Ein Grölen und Kreischen ist die Folge und Micky tut sich etwas schwer,
diese Situation zu erfassen.
Der Harry versteht sich als spontaner Aktionskünstler. So arrangiert er an der
Stelle des alten Erich-Weinert-Denkmals auf dem Magdeburger Breiten Weg,
die Einweihung eines seiner Werke: Ein altes Toilettenbecken mit einem auf der
Brille befestigten Räuchermännchen. Alles mit Silberbronze überzogen. Zwei
Kameraleute dokumentieren, wie Harry die perplexen Passanten nach ihren
Impress- und Emotionen befragt. Die ursprünglich eine Woche zuvor geplante
Aktion musste verschoben werden, denn während Harry eine Leerkassette für das
Diktiergerät besorgte, sollte Micky auf das noch im Gebüsch abgestellte Kunstwerk
aufpassen. Stattdessen machte es sich dieser auf einer sonnigen Bank bequem. So
konnten Langfinger sich gütlich am Exponat vergreifen. Eier-Harry war verzweifelt.
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