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Und nach den Ferien mache ich eine Beatband auf

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Erwin musste sich nun mit seiner »Großmutter« in die hinterste Bühnenecke begeben,

in die während der Darbietung der Akkordeonspieler seine Botschaften

johlte. „Rot, blau, blau, gelb, rot, grün, grün...“, sprich das Notenmaterial für den

Aushilfsbassisten.

Dieser ist es auch, mit dem Micky ab und an als Duo Polterabende, Hoch-zeiten,

Jugendweihen oder Brigadevergnügen bespielt. Erwin wechselt hier zwischen

Akkordeon und ET 6-1-Orgel; der Micky sitzt am Schlagzeug. Recht kurz fällt der

Crashkurs aus, in dem im Vorab Micky unterwiesen wurde. So sollte er lediglich

drei goldene Regeln beachten: Erstens habe er in den Refrains stets den sogenannten

»Rundschlag« zu trommeln. Zweitens: Während der Strophen ist stets der »Beat-

Schlag« auszuführen. Und Drittens, dies alles bitte schön dynamisch, damit den

„Weibern der Schlüpperjummi platzen tut“. Und ja, Micky lässt sich gründlich

aus. So integriert er den handgeschmiedeten Raumteiler einer Gaststube neben

dem er sein Set aufgebaut hat, in sein Spiel. Dazu steht er verschiedentlich auf und

bearbeitet mit den Sticks die unterschiedlich klingenden Metallstreben. Dieser Jux

gefällt auch den sich Vergnügenden. Oft mimt auch Taster Erwin den Animateur. Er

macht Spielchen, lässt das Publikum singen, erzählt Witze. So zieht er irgendwann

aus seiner Notentasche einen Hefter. Abgegriffenen, befleckt, marode, uralt. Was

er folgend daraus vorliest, lässt Micky doch aufhorchen, denn genauso alt scheint

der Inhalt zu sein. „Warum fällt diesem Jahr das Weihnachtsfest aus?“ Die Zuhörer

zucken die Schultern und Erwin klärt auf: „Weil Joseph und Maria an der Ostfront

sind!“

Micky: „Gott sei Dank war es keine Betriebsfeier der Staatssicherheit.“

Es ist nicht besonders viel, was man für diese Duo-Projekte beherrschen muss,

aber dennoch beschließt Micky etwas zu tun. Zu dieser Zeit arbeitet er in der

Schlosserwerkstatt des »VEB Prowiko« in Schönebeck. An der Hobelmaschine

sitzend nutzt er den sich bietenden Umstand, um Schlagzeug zu üben. In beiden

Händen je eine Schweißelektrode haltend, trommelt er nimmermüde auf die selbstständig

arbeitende Maschine. Nach etwa dreißig Takten ist die Beschichtung der

Ersatzstöcker abgeplatzt. Er muss sich aus dem Materiallager ein neues Paket besorgen.

Direkt vor seinem Arbeitsplatz befindet sich ein Fenster, durch das schon eine

geraume Zeit einige Laboranten bestürzt beschriebenes Treiben beobachten können.

Bald schon werden bis auf Micky, sämtliche Schlosser zu temporären

Reparaturarbeiten in einen Magdeburger Zweigbetrieb abkommandiert. Auch

Klempner Otto Tarrach bleibt zurück. Er ist der älteste Kollege und steht kurz vor

seiner Verrentung. »Ottchen« leidet schlimm unter seinem Astma, alle zehn Meter

ist er gezwungen stehen zu bleiben. Markerschütternde Hustenanfälle krümmen

ihn. Er schlägt sich mit der Faust auf die Brust. Stehen Klempnerarbeiten an, muss

Micky die schwere Werkzeugtasche tragen. Otto lehrt ihn Rohre zuzusägen, mit der

Schneidkluppe umzugehen und eine Hanfdichtung herzustellen.

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