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Die Vorzeit
Zur effektiven Gestaltung der sozialistischen Unterhaltungskunst im Bezirk
Magdeburg, ganz besonders für unsere Jugend, aber auch für alle Werktätigen, hat
der Bezirkstag Magdeburg beschlossen, ein niveauvolles Unterhaltungsensemble
zu entwickeln. Mit dieser Maßnahme sollen die noch bestehenden Mängel aus
der kapitalistischen Gesellschaft in der Unterhaltungskunst überwunden und den
westlichen Einflüssen entgegengewirkt werden.« Der Arbeitgeber des Orchesters,
dem Rat des Kreises Schönebeck, Abteilung Kultur soll es umsetzen. Der große
sinfonische Klangkörper soll umprofiliert, sprich zerschlagen werden: »... ein kleines
Orchester, das in seiner Zusammensetzung als Kur-, bzw, Salonorchester bezeichnet
werden könnte ... mit dieser Besetzung ist es möglich, Unterhaltungs-, Kammer-,
Blas-, und Tanzmusik auszuführen.« Musikdirektor Kurt Hennemann soll nicht
in die Leitung des neuzubildenen Ensembles übernommen werden. »Mangelhafte
Leitungstätigkeit und unzureichende Fähigkeiten« werden im vorgeworfen. Auch
ist ihm seine Verwandschaft in der BRD als sozialistisches Leitungskader nicht
gerade von Nutzen. So fanden erst jüngst die Sicherheitsorgane der DDR heraus,
dass sein Bruder Günter in Kassel sich immer noch bester Gesundheit erfreut.
Dabei sei er doch verstorben, so jedenfalls gab es vor Jahren sein Bruder Kurt in
seinen Personalpapieren an. Nein, keine Lüge. Lediglich ein Missverständnis.
Er verspricht es zu klären. Es hilft alles nichts, der Bruder muss erneut sterben.
Günter wird instruiert und sucht seinen Hausarzt auf.Dieser wird umgehend über
jene Problematik im Ostteil Deutschlands aufgeklärt. Amüsiert entnimmt er seinem
Schreibtisch einen Totenschein und will wissen, welchen Tod sein Patient denn gern
sterben würde. Man einigt sich schließlich auf ein Herzversagen.
Doch all das kann den drakonischen Schicksalsschlag nicht mehr aufhalten; Herr
Hennemann muss nach 22 Jahren abdanken. Am 1. September fährt er zurück
nach Bansin. Allein. Nach den Konzerten verbringt er einsame Stunden. Die
Hauptsaison ist vorüber, das Ostseebad zeigt sich verlassen. Er ist auf sich gestellt
mit den zehrenden Sorgen. Was hält die Zukunft für ihn bereit? Und ja, in ihm
regen sich böse Gedanken. Doch ist der Suizid kein Ausweg. Ende des Jahres wird
er sich als Prokurist einer privaten Schrotthandlung in Schönebeck wiederfinden.
Ein Jahr später wird er den stellvertretenden Kulturhausleiter eines Magdeburger
Großbetriebes mimen. Zufrieden wird ihn das alles keineswegs stellen. Er wird
außerberuflich das aus Laien bestehende »Arbeitersinfonieochester« aufbauen.
Auch eine Jagdhornbläsergruppe wird er ins Leben rufen. Doch bleibt alles nur ein
schwacher Trost bis zu seiner Pensionierung 1984.
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