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Als Micky auf die Werksuhr sieht, zuckt er gehörig zusammen. Es ist 13:00 Uhr.
Die Belegschaft hat sich vor einer halben Stunde in den Feierabend und in das
Wochenende verabschiedet. Und die Türen sind veriegelt! Ihm wird heiß und kalt, er
rennt im Kreis. Schließlich findet er in der hintersten Ecke der Halle im Öllager eine
Leiter. Die braucht er auch, denn das Fenster durch das er entfliehen will, befindet
sich in vier Meter Höhe. Es lässt sich öffnen und durch einen Sprung vom Vordach
gelangt er in die Freiheit. Natürlich hat er vordem pflichtgemäß gestempelt, damit er
diesen Samstagvormittag der Lohnbuchhaltung als Überstunden in Rechnung stellen
kann.
Manfred K., Arbeitskollege: „Nach der Schicht stellte sich Micky frischgeduscht
vor eines dieser Warmluftgebläse, die sich oben an den Wänden der Werkhalle
befanden. So trocknete er sein langes blondes Haar, dass lustig flatterte.“
Ronnie berichtet von einem neuen Dozenten an seiner Abendschule und fragt,
ob Micky ihn kenne. Jüngst ließ sich dieser in recht abwertender Weise über die
Schönebecker Jugend aus: „Wenn ich da so manche Vögel sehe, da hilft nur mit dem
Knüppel dreinschlagen! Ich will hier keine Namen nennen, aber der Hennemann ist
so Einer!“ Ja, er ist Mickys Sportlehrer an der Berufsschule, der sich in der ersten
Stunde mit: „Ich bin Herr Scharff, hinten mit zwei ff - also ein ganz Scharfer!“
vorstellte.
Micky ist alles andere als beglückt, als er Tage später dem Briefkasten seinen
Musterungsbescheid entnimmt. Auch das noch. So hat er sich vor einer
Musterungskommision im Schönebecker »Rat des Kreises« einzufinden. Hier wird
er befragt und medizinisch untersucht. Die Urinprobe wird zum Problem, denn
noch nie konnte er auf Kommando das Wasser lassen. Ihm wird geraten, sich an das
geöffnete Fenster zustellen, denn draußen rausche die Elbe vorüber. Fehlanzeige.
Nein, so wird das auch nichts. Er bittet einen neben sich Stehenden, er möge doch
bitte mit den Becher füllen. Dieser zeigt sich anfänglich leicht konsterniert, erfüllt
dann aber doch den Wunsch. Zu hoffen bleibt nur, dass jener Typ an Diabetes leidet.
Einem Militärarzt gegenüber berichtet Micky von seiner Farbensehuntüchtigkeit.
Diagnostiziert wurde diese bei der Einstellungs-untersuchung zu Beginn seiner
Berufsausbildung. Auch könne er des nachts schlecht sehen und somit keinesfalls
einen Feind erkennen. Nachtblind. Hier ist für ihn der Tauglichkeitstest beendet,
man überweist ihn zum örtlichen Augenarzt. Dieser zereißt einen A4-Papierbogen
und verstreut ihn in der Besenkammer seiner Praxis. Zum Aufsammeln der Fetzen
schickt er den Micky hinein und lässt die Tür nur einen kleinen Spalt geöffnet. Und
natürlich strengt der sich nicht an. Er verschließt die Augen und greift absichtlich
daneben. Nach dieser Zeremonie stellt der Doktor das Attest aus: »Schnipselprobe
nicht eindeutig.« Micky muss daraufhin sich im Magdeburger Universitätsklinikum
vorstellen. Auf der Augenstation wird nun seinem Leiden mit professionelleren
Methoden auf den Grund gegangen.
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