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Und nach den Ferien mache ich eine Beatband auf

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1973: Gottes Vieh

Köche und Kellner betreiben per fachmännischer Kommentare intensive

Aufklärungsarbeit. Im Foyer befindet sich eine Ausstellung der Schönebecker

Milchbar. Deren Thema erscheint den Musikern um einiges verlockender. Longdrinks,

Cocktails, sprich Mixgetränke, stehen hier unbeaufsichtigt herum. Rezepturen

dokumentieren jene mehr oder we-niger süffigen Drinks. Scheu blickt Micky sich

um, dann fasst er sich ans Herz und leert sein erstes Glas: Ein warmer und nicht mehr

ganz frischer »Manhattan«. Klaus macht es ihm nach und greift sich einen delikaten

»Oyster«. Nun ist Ronnie an der Reihe und schüttet sich ein »Brandy-Knickebein«

in den Hals. Von einem anderen Tisch probieren sie »Rum-Fizz«, »Bloody Mary«,

sowie »Malz-Flip«, um anschließend gemeinsam eine Pfirsich-Bowle zu verkosten.

Darauf checken sie je einen »Himbeer-Julep«, ein »Rotes Laternchen« und ein

»Flammendes Herz«, um endlich zum zünftigen »Bier-Punsch« überwechseln zu

können. Ja, auf dem Dachboden des Burghofes war es mehr als warm und innerhalb

zwanzig Minuten werden unbemerkt fast alle »Ausstellungsstücke« vernichtet.

Wankend verlassen sie die Fachmesse und nehmen so einiges an Erfahrung mit.

Ronald G.: „Der nächste Morgen war gnadenlos.“

Am 21. September stößt ein Reinhard Storch zur Band. Er kommt aus Calbe und

spielt Keyboard. Recht viel Schweiß und Mühe bedarf es jedes Mal, um die schwere

Orgel zu transportieren. 500 Meter wollen per pedes von der Bushaltestelle an der sie

Reinhard empfangen, bis zum Pflegeheim zurückgelegt werden.

Bei den Proben sind auch ehemalige Musikerkollegen wie Ecki Grimpe oder Volker

Ehlert anwesend. Mit letzterem produzieren sie am 29. September eine der letzten

Aufnahmen unter dem Dach. »Session 4« entsteht als fünfundzwanzigminütiges

Mammutwerk. Gemeinsame Erfahrungen garantierten jetzt zum einen Sicherheit,

zum anderen ermöglichen sie, dass sich die Musiker von augenblicklichen

Einfällen leiten lassen können. Auf diese Weise ist das fruchtbare Verhältnis

von Komposition und Improvisation stets gewährleistet. Die Spontanität der

Bandmitglieder ist ein wichtiger Faktor. Volker und Klaus wechseln sich an den

Drums und diversen Perkussionsinstrumenten ab. Herumstehende Waschschüsseln,

Holzschränke, Bierflaschen und Badewannen, werden in einem atemberaubenden

musikalischen Frage- und Antwortspiel mit einbezogen. Micky bedient und vergewaltigt

abwechselnd und parallel Gitarre und Keyboard. Organist Storch sieht nur

fassungslos zu. Bei diesem wüsten und bizarren Improvisationsgelage gibt es nur

einen einzigen ruhenden Punkt: Die souveräne Bassline eines Ronnie Glatzel.

Als Höhepunkt des Titels lässt Micky sich noch etwas ganz Besonderes einfallen.

Bewaffnet mit zwei frisch von einem Stuhl abgeschlagenen Beinen, (dieser Vorgang

ist ebenfalls auf der Aufnahme zu hören) kriecht Micky theatralisch hinter der Orgel

hervor. Mit der Grimasse eines aus der geschlossenen Anstalt ausgebrochenen Irren

in der manischen Phase, begibt er sich zur Mitte des Dachbodens. Hier hängt ein

überdimensionales, aus dem Kreiskulturhaus entwendetes, Klangröhrenxylophon.

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